Psychogramm einer Ehe

Paula Fox' Roman "Was am Ende bleibt"

Von Charlotte IndenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Inden

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist nur der Biss einer Katze. Aber der erste Kratzer auf der scheinbar makellosen Oberfläche eines Lebens. Zwei Menschen sehen sich plötzlich konfrontiert mit sich selbst. Was wird bei Tagesende noch so sein wie zuvor?

Sophie und Otto Bentwood sind ein Ehepaar in den besten Jahren. Kinderlos, nur sich selbst und ihren Moralvorstellungen verpflichtet, leben sie kein ungewöhnliches Leben im New York der 60-er Jahre. Der erfolgreiche Anwalt und die Übersetzerin verfügen über Geld und Zeit.

Eines Abends füttert Sophie eine wilde Katze und wird von ihr gebissen. Der scheinbar harmlose Vorfall wächst sich für Sophie zur Katastrophe aus: die Katze könnte Tollwut haben. Drei Tage wird es dauern, bis Sophie darüber Gewissheit hat. Sie weiß nicht, was sie mehr fürchtet, den drohenden Schmerz oder die Angst davor. Während der Zeit des Bangens muss sich Sophie einigen Wahrheiten stellen. Als hätte der Vorfall sie schmerzhaft wachgerüttelt, als wäre ein trennender Vorhang zerrissen, sieht Sophie die Welt nun mit anderen Augen als zuvor.

Es scheint so, als wäre der Katzenbiss nur der Vorbote einer ganzen Serie von Missgeschicken und Unglücken. Die Straße der Bentwoods versinkt im Müll, ein Fenster wird eingeschlagen, ihr Sommerhaus verwüstet. Plötzlich steht die bedrohliche Außenwelt nicht mehr als teilnahmsloser Beobachter auf der anderen Straßenseite, sondern fordert Einlass in die abgeschottete Idylle der Bentwoods und reicht ihnen die Hand.

Doch Sophie und Otto weigern sich, diese Hand zu ergreifen, die trotz aller Schrecken eine helfende sein könnte. Sie leben ein Leben der Grautöne, bemühen sich maßvoll zu sein in ihren Handlungen und Gefühlen. Jede Abweichung wirft Fragen auf, die zu beantworten qualvoll wäre und jeder von ihnen hat Ängste, denen er sich nicht stellen will. Würden sie aber den Blick klar und die Arme geöffnet halten, würden sie sich dem Leben stellen, so wären die Chancen größer, endlich dieses allgegenwärtige Gefühl des Unbehagens zu überwinden, das sie beide in sich spüren.

Zu Beginn der Geschichte begegnen dem Leser zwei Menschen, die gefangen sind in ihner selbst gestalteten Welt und dies nicht sehen wollen. Nur sich selbst verpflichtet zu sein, ist nicht so einfach, wie sie es sich vorstellten. Den eigenen Ansprüchen genügen zu wollen und damit leben zu müssen, es nicht zu können, erweist sich als noch nicht bewältigte Lebensaufgabe.

Otto, der nichts so schätzt wie die Beständigkeit und der die Ausgeglichenheit seiner Frau als ihre beste Eigenschaft bezeichnet, spürt immer wieder Zorn gegen die Macht der Gewohnheit in sich aufflammen. Er projiziert seine Gefühle auf seine Umgebung, um die Ursache nicht bei sich selbst suchen zu müssen. Seinen Expartner Charlie verachtet er für dessen moralischen Ambitionen, die er selbst nie verlieren wollte und die Enttäuschung über dieses Versagen wandelt sich in Wut auf Charlie. Sogar das Bentwoodsche Wohnzimmer wirkt auf ihn "etwas feindlich, als würde es ihnen seine Zweckentfremdung übelnehmen."

Sophie floh Jahre zuvor vor "den Zwängen der Vorsicht und den Gewohnheiten" in eine Affäre, doch auch mit dem anderen Mann fand sie nicht, was sie sich sehnlichst wünscht: Zufriedenheit. Ihre Arbeit erscheint ihr sinnlos, es gibt so viele bessere als sie. Sie erlitt zwei Fehlgeburten, Otto war gegen eine Adoption. Die Hoffnung, in der Mutterschaft Erfüllung zu finden, die Verantwortung sich selbst gegenüber mit der Verantworung für ein Kind überdecken zu können, blieb unerfüllt. Jetzt ist Sophies Leben weich und ohne Kanten, es besitzt die von Otto geschätze Beständigkeit.

Drei Tage begleitet der Leser das Leben der Sophie Bentwood, in ihren vier Wänden, durch die Straßen von New York, zu Partys und Dinnereinladungen - es ist eine Reise durch ihre Erinnerungen und Gedanken und zu ihrem Dasein mit Otto. Ihr Geplänkel und ihr Kleinkrieg werden präzise beobachtet,dass die Seitenhiebe und gegenseitigen Verletzungen ersckend selbstverständlich wirken. Diese Wahrheiten im Umgang zweier Menschen miteinander, sind so erschütternd, dass der genaue psychologische Blick nur mit Unbehangen konstatiert wird.

Langsam zeigt sich, dass nicht nur beide unzufrieden ist mit ihrem Leben, sondern dass diese Unzufriedenheit auch ihre Ehe zerstört. Diese Wahrheit noch erschütternder. Sophie spürt die Entfremdung und den Verlust der Intimität zwischen ihnen, und Otto - von dem wir weniger erfahren als von Sophie -rührt, als er sich am dritten Tag eingesteht, dass er seine Sophie liebt und nicht verlieren will. Dass er sie wahrscheinlich schon verloren hat, weiß er nicht. Traurig, dass der Leser mehr weiß als er - Unwissenheit herrscht auf Seiten beider Bentwoods.

Was der einzelne nicht klären kann und dem anderen verschweigt, belastet die Gemeinsamkeit. So ist Paula Fox' Roman "Was am Ende bleibt" nicht nur ein Ausflug in das Seelenleben zweier Menschen, sondern auch das Psychogramm einer Ehe. Wirken zwei Menschen zusammen wie eine Maschine? Was sind die Rädchen, die da ineinandergreifen, und was verursacht ihr Verhaken und Versagen?

Es erschließt sich dem Leser eine Welt, in der die Sinnsuche die Menschen motiviert. Sie sind älter geworden und haben irgendwo den Anschluss verpasst; Veränderungen sind erst nicht bemerkt, später nicht akzeptiert worden. Nicht nur Otto und Sophie, sondern auch ihre Freunde sind orientierungslos: Was ist aus ihrer Welt geworden, in der sie immer den richtigen Weg zu kennen glaubten? Flo lebt die sexuelle Befreiung, allerdings ohne Ehemann Mike; Ruth schläft nicht mehr mit Charlie, aber Claire mit ihrem geschiedenen Mann Leon, der nun mit einer Nymphomanin verheiratet ist. Sie alle präsentieren sich als eine Generation der 1960-er Jahre, die sich längst etabliert hat, aber den Weg zur Zufriedenheit aus den Augen verlor. Sophie und Otto sind hinter den anderen einen Schritt zurück, haben nicht einmal erkannt, dass sie sich auf den Weg machen müssen, um an ein Ziel zu gelangen.

Ein Katzenbiss dringt unter die Oberfläche, forciert eine Konfrontation mit der Sterblichkeit und das Gefühl nicht ewig warten zu können - so bleibt nach drei Tagen die Erkenntnis, dass alles ist wie immer, aber nichts wie zuvor.

Titelbild

Paula Fox: Was am Ende bleibt.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
201 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3406460607

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