Das kleinere Übel

Giovanni di Lorenzo propagiert Karl-Theodor zu Guttenberg

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben kann so erbarmungslos sein. Man merkt das an einem „Gesprächsfluss, der immer wieder stockte und neu belebt werden musste“, vor allem aber daran: „Er trägt keine Brille mehr, vor allem aber wirkt er älter; in sein Gesicht hat sich ein harter Zug eingegraben.“

Hat da jemand ein nordkoreanisches Arbeitslager überlebt? Oder wenigstens ein US-amerikanisches Verhörzentrum? Nein, es ist nur Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich seine Zeit als Wirtschafts- und Verteidigungsminister mit geschickter medialer Selbstinszenierung vertrieb, bis ihn seine Vergangenheit als ausgesprochen ungeschickter Plagiator einholte. Nachdem Guttenberg eine mehr als halbjährige Bußzeit durchlitten hatte, brachte Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der „Zeit“ ein ganzes Interview-Buch mit ihm heraus, hoffentlich zur Freude seiner Kollegen aus dem Ressort Wissenschaft.

An politischen Standpunkten bringt das Buch fast nichts. Guttenberg hält daran fest, dass er als Minister bei jeder seiner zahlreichen Meinungsänderungen im Recht war. An den wenigen Stellen, wo er sich in Hinblick auf die Zukunft festlegt, wird das Buch grotesk: So hält es Guttenberg für einen Fehler, das künftige Renteneintrittsalter auf nur 67 Jahre begrenzt zu haben und hat wohl immer noch nicht gemerkt, dass kaum jemand überhaupt bis zum gegenwärtigen Rentenalter von 65 arbeiten kann.

Aber ohnehin geht es nicht um Inhalte, sondern um die Person. Das bedeutet nun nicht, dass man irgendetwas über den Menschen Guttenberg lernen könnte, sei es freiwillig von ihm offengelegt, sei es als unfreiwilliges Psychogramm. Das Buch hat einen strategischen Zweck. Der Gesprächsfluss stockt keineswegs, sondern ist offensichtlich konsequent durchredigiert. In einem solchen Fall geht es nicht um die Substanz, sondern um die performance.

Die ist nicht schlecht. Nach der Lektüre könnte man wirklich fast glauben, Guttenberg habe einen erstklassigen Minister abgegeben oder sich gar als Chef der Bundeswehr für das Wohl seiner Soldaten interessiert. Ein paar Punkte bei der Kür muss man leider abziehen. Ein Fehlerchen, das einzugestehen die sonstige Perfektion noch glaubwürdiger gemacht hätte, wäre doch wohl zu finden gewesen. Und ein Politiker einer Partei, die recht unbekümmert fürs Kriegsführen ist, sollte sich nicht zu aufgesetzt über die toten Soldaten grämen, die dabei unvermeidlich anfallen. Aber insgesamt hat der Selbstdarsteller Guttenberg nichts verlernt.

Bleibt das lästige Problem mit der Doktorarbeit, dem der erste Teil des Buches gewidmet ist. In der Sache ist da nichts mehr zu leugnen, und Guttenberg kann nur noch wählen, ob er sich als Deppen oder als Betrüger hinstellen möchte. Er wählt den Deppen und erzählt von einer „Patchworkarbeit, die sich am Ende auf mindestens 80 Datenträger verteilt hat“, auf denen Selbstverfasstes und Exzerpte ununterscheidbar durcheinanderpurzelten.

Man versteht, warum der Mann nicht anders konnte als Karriere zu machen: Ohne einen Stab an Mitarbeitern ist er offenkundig völlig außerstande, sein Leben zu organisieren. Was er sich zum Zweck der Karriere antrainiert hat, ist ein kalkuliert eingesetzter Beißreflex. Nachdem Guttenberg ein paar formelhafte Entschuldigungen abgesondert hat, attackiert er die von ihm geschädigte Universität Bayreuth – sie habe die Arbeit auch von Nichtjuristen untersuchen lassen. Dreist erklärt er Wissenschaftler anderer Fächer für außerstande, ein Plagiat zu erkennen. Wenn aber tatsächlich ein Jurist – Oliver Lepsius, der Nachfolger von Guttenbergs getäuschtem Doktorvater – von Plagiat spricht, dann wirft Guttenberg ihm juristische Unsauberkeit vor und unterstellt ihm Interessen an einer Richterstelle am Bundesverfassungsgericht.

Das ist Unsinn, geht aber in Ordnung. Wer noch etwas in der Politik werden will, muss die Fähigkeit zum Angriff zeigen. Dies Ziel gegeben, fragt sich, ob es erreicht ist. Der erste Anschein spricht dagegen. Die ersten Rezensionen waren fast durchweg negativ, die Reaktionen aus CDU und CSU meist ebenfalls. Doch wer sich mit Guttenberg beschäftigt, gibt damit auch zu, dass der Mann wichtig ist. Dies also wäre erwiesen, und der Rest wird sich fügen. Vielleicht hat es ja auch einen tieferen Sinn, dass Guttenberg ausgerechnet den katholischen Herder Verlag gewählt hat: Der Beichte folgt die Absolution, und danach – nunja, der Mensch ist eben sündhaft.

Schwieriger liegen die Dinge auf der anderen Seite, bei Giovanni die Lorenzo. Der verantwortet nicht nur die Einleitung, die sentimental den Plagiator Guttenberg zur Schmerzensgestalt verklärt, sondern setzt auch noch durch zahmstes Nachfragen seine journalistische Reputation aufs Spiel. Was treibt diesen Mann in seine Blamage? Sein Ziel fasst er am Ende des Vorworts so zusammen: „Wer also die Rückkehr des Karl Theodor zu Guttenberg auf die politische Bühne befürchtet, der fürchtet sich nach diesem Buch vermutlich völlig zu recht.“

Offensichtlich ist die Furcht gleichzeitig di Lorenzos Hoffnung. Doch warum diese Hoffnung, angesichts der erwiesenen Inhaltslosigkeit von Guttenbergs Politik? Eben wegen dieser Leere. Die Bevölkerung ist mit der etablierten Politik unzufrieden, und die Frage ist nur, wer diese Unzufriedenheit kanalisiert. Dabei ist die Lage paradox: Globalisierung, Bankenmacht, Neoliberalismus, Sozialabbau stehen auf der Anklagebank, doch die Linke kann davon nicht profitieren. Als Hoffnungsträger, möglicherweise als Gründer einer neuen rechtspopulistischen Partei, werden ausgerechnet Politiker genannt, die den Neoliberalismus mit besonderer Schärfe vorangetrieben haben.

Es sind durchweg Männer des Establishments, die sich den Anschein des Nonkonformismus zu geben verstehen. Horst Köhler war eine Idealform dieses Tricksters, freilich präsidial möglichen neuen Parteiprojekten entrückt. Das sonstige Personal ist noch unerfreulicher: Hans-Olaf Henkel ist als ehemaliger BDI-Präsident zu deutlich Partei in der Auseinandersetzung der Klassen und treibt sich nun im Chaosbereich der „Freien Wähler“ herum. Wolfgang Clement hat bei denen, die sich vor einem Abstieg fürchten, durch Hasstiraden gegen sozial Schwache gepunktet, ist aber durch gutbezahlte Lobbytätigkeiten angreifbar. Sein Co-Buchautor (ebenfalls bei Herder, 2010) Friedrich Merz ist ebenfalls radikal sozialfeindlich, doch mit einem nationalkonservativen Akzent, der der politischen Linie der „Zeit“ widerspricht. Das gilt noch viel mehr für Thilo Sarrazin, der sich durch einen biologistischen Sozialdarwinismus ganz weit rechts positioniert hat und der aufgrund seiner Popularität derzeit der gefährlichste Akteur aus diesem Spektrum sein dürfte.

Die Lage ist, angesichts drohender ökonomischer Verschärfungen, aus einer nichtnational neoliberalen Sicht bedrohlich. Eine Guttenberg-Lösung hat da einen gewissen Reiz: Er ist Jahrgang 1971 und hat damit Zukunft – unter den anderen unterschreitet nur der 1955 geborene Merz das heute gültige Renteneintrittsalter. Wirtschaftlich steht er für einen Neoliberalismus light: gegen den seit 2008 in Deutschland gängigen und finanziell aufwendigen Staatsinterventionismus, aber auch gegen die zuvor hegemoniale ökonomische Neoklassik. Nur vielleicht will er eine neue Partei – wofür oder wogegen auch immer – aber in der vielberufenen Mitte und ohne jede Verbindung zu einem „tumben Extremismus“.

Das ist Klartext. Guttenberg steht für eine konservative Kanalisierung der Unzufriedenheit mit den Verhältnissen. Der inhaltsarme Medienmensch, Verkörperung des Politbetriebs, zähmt die Hoffnungen, die über diesen Betrieb hinausreichen. Er garantiert, dass wirkliche Veränderungen ausbleiben. Wer eine wirklich soziale Politik vor Augen hat, findet das schlecht. Wer sich hingegen Sarrazin vor Augen stellt, mag beruhigt sein. Es gibt noch einen „Zeit“-Liberalismus, der gröbste Peinlichkeiten nicht scheut, um uns das Ärgste zu ersparen.

Titelbild

Giovanni Di Lorenzo / Karl Theodor Zu Guttenberg: Vorerst gescheitert. Karl- Theodor zu Guttenberg im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo.
Herder Verlag, Freiburg 2011.
207 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783451305849

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