Schatten wirft ein Diamant

In Julia Wieners erstem Roman bestimmt ein echter Diamant den Verlauf einer fiktiv-skurrilen Geschichte

Von Joachim SailerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Sailer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So hatte er sich das nicht gedacht. Als Michail Tscherikower etwas unberechtigt in den Besitz mehrerer gestohlener Diamanten – besonders des einen, großen Roten – gelangt, hält er eine Villa und ein Auto, zwei Frauen nicht für unrealistisch. Es kommt natürlich ganz anders. Dabei sind die Verwerfungen in seinem bisherigen ruhigen, eigenbrötlerischen Leben so groß, dass er ernsthaft beschließt, sich von den Steinen wieder zu trennen. Kann er aber nicht. Selbst als sie ihm scheinbar unwiederbringlich abhanden kommen, finden sie immer wieder zu ihm zurück. Es ist wie zum sprichwörtlichen Verrücktwerden und manchmal denkt Michail, dass genau das gerade eintritt.

Der Roman ist in jedem seiner vier Teile noch einmal in mehrere Einzelabschnitte untergliedert. Zumeist wird die immer bizarrer verlaufende, reißerisch aufgebaute Handlung zunächst nicht weitererzählt sondern erst einmal mit Selbstreflexionen, Betrachtungen über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen (Israel) und vielfältigen anderen aktuellen Themen begonnen. Das ist zuweilen etwas konstruiert, macht aber auch den Reiz dieses Romans aus. Anders als die Autorin, die seit 1971 in Israel lebt, lebt der nicht sehr religiöse russische Jude Michail erst seit zehn Jahren mit seiner Familie in Israel, in Jerusalem. Hier kann er das ausleben, was er schon immer wollte: a) nichts tun und b) keine Verantwortung übernehmen.

Als der Rote Diamant sein Leben zu verdunkeln beginnt, kann er genau das nicht mehr. Er wird zum getriebenen Akteur, der vor allem für sich selbst Verantwortung übernehmen muss, die er wegen einer Behinderung eigentlich abgegeben hatte: Seine ihn betreuende Frau verlässt ihn wegen eines orthodoxen Juden. Seine schöne Tochter verliebt sich in einen Araber, der wie die Polizei die Diamanten bei ihm sucht. Das sind nur einige der sich anhäufenden Schwierigkeiten, in die Michail gerät. Unfähig sich vom magischen Roten zu trennen, gerät er in eine Lage, aus der ihm nur der „Teufel aus der Patsche“ helfen kann. So ist das vierte Kapitel überschrieben – mehr soll hier nicht verraten werden.

Julia Wiener hat bisher Prosa, Essays und Lyrik in russischer Sprache veröffentlicht. Nun einen Roman. Auch ein erster Roman kann ein Spätwerk sein, im guten Sinne eine reife Leistung. Ausgewogen nuanciert schreibt hier eine Autorin, die ihr Lebensverständnis nicht auf Spruchbändern vor sich herträgt, die den Lesern dann um die Ohren flattern. Sie lässt ihren kauzigen Antihelden über Probleme nörgeln, die im heutigen Israel nicht in den Schlagzeilen der Presse diskutiert werden. Das ist dennoch flüssig zu lesen. Wem das gelegentlich etwas zu locker daherkommt, der liegt auch nicht unbedingt falsch.

Titelbild

Julia Wiener: Mischas roter Diamant. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Franziska Zwerg.
Berlin Verlag, Berlin 2009.
350 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827008428

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