Ich bin alles halb

Astrid Köhler legt die lange erwartete Biografie des deutsch-deutschen Schriftstellers Klaus Schlesinger vor

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kaum einen anderen Schriftsteller hat Klaus Schlesinger (1937-2001) in seinem bewussten Leben die politische Teilung Deutschlands und vor allem Berlins geprägt. Aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte der junge Schlesinger in Ostberlin seinen Lebensunterhalt zunächst als Chemielaborant verdient. Die Mitarbeit an einer Betriebszeitung führte Schlesinger zur Literatur. Mit seinem Roman „Michael“, der im Oktober 1971 erschien, hatte er den Durchbruch als Schriftsteller geschafft.

Astrid Köhler zeichnet den Lebensweg von Klaus Schlesinger in ihrer Biografie einfühlsam und reflektiert zugleich nach. Der frühe Verlust des Vaters, der in den Schlußwochen des Krieges 1945 in Berlin verschollen ist, hatte zu einem Motiv geführt, das sich in Schlesingers Werk immer wieder finden lässt. In Schlesingers Roman „Michael“ hatte die Frage nach dem Vater „als logische Konsequenz eine andere, drängendere Frage nach sich gezogen: Wer bin ich?“. Auch insofern war Schlesinger dabei, als in der DDR der 1970er-Jahre junge Schriftsteller wie Christa Wolf oder Rolf Schneider anfingen, sich vom verordneten Kollektiv abzuwenden und Betrachtungen über das eigene Ich in den Vordergrund rückten.

In die Analyse wichtiger Lebensabschnitte Klaus Schlesingers fließen zwangsläufig Rückblicke auf politische Hintergründe und vor allem auf Abläufe im Kulturapparat der DDR ein. Kurt Batt und Konrad Reich, legendäre Lektoren des Rostocker Hinstorff-Verlages, hatten gegen alle Widerstände auf Klaus Schlesinger gesetzt. So konnten wichtige Erzählbände wie „Alte Filme“ (1975) oder „Berliner Traum“ (1977) von Klaus Schlesinger in der DDR veröffentlicht werden, während die Erzählung „Leben im Winter“ 1980 nur in der Bundesrepublik und mit knapp zehnjähriger Verspätung auch in der DDR erschien.

Die Turbulenzen um die Ausbürgerung des kritischen Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 hatten selbstverständlich auch eine Persönlichkeit wie Klaus Schlesinger nicht unberührt gelassen. Ähnlich wie Biermann trat er öffentlich unmissverständlich für eine sozialistische Alternative ein, die er trotz aller Fehler und Widrigkeiten in der DDR gesehen hatte. Das Regime hatte es ihm nicht vergolten: Am Beispiel eines immer wieder verschleppten Filmprojektes von Klaus Schlesinger über Heinrich von Kleist sieht Astrid Köhler ein „klassisches Beispiel dafür, wie man in der DDR versuchte, kritische Intellektuelle mittels Verzögerungstaktiken am Gängelband zu halten“.

Dass die Stasi Schlesinger in ihrem Visier hatte, bestätigt auch der Autor Joachim Walther aus eigener Erinnerung: „Ich erinnere mich, daß die Taktik des dosiert gestreuten Mißtrauens, Desinformierens, Desorientierens, Destabilisierens und Verunsichern damals durchaus Wirkung zeigte: bei mir“. Schlesingers Eintreten für das freie Wort in der DDR hatte im Juni 1979 zu seinem Ausschluss aus dem Schriftstellerverband der DDR geführt. Als Schlesinger 1980 die DDR in Richtung Westberlin verlassen hatte, verfügte er über einen DDR-Pass, der mit einem Reisevisum von dreijähriger Gültigkeit versehen war.

In Westberlin musste sich Schlesinger in einer neuen Welt zurechtfinden. Kritische Stellungnahmen versagt er sich nicht, und einige Zeit lebt er gemeinsam mit jungen Hausbesetzern in einer Wohngemeinschaft. Dank seines Passes kann er jederzeit von West nach Ost pendeln und er nutzt dies wöchentlich. Es offenbart sich eine politische wie biografische Zerrissenheit, die er seinem Tagebuch anvertraut: „Ich bin alles halb. Halb Ost, halb West, halb Mieter, halb Besetzer, halb Schriftsteller, halb politischer Akteur, halb Familienvater, halb Alleinlebender“.

Die politische Wiedervereinigung war für Schlesinger freilich kein Anliegen, das an oberster Stelle stand. Die Utopie einer sozialistischen Demokratie ohne arrogante Herrschaft des Geldes hatte er sich bewahrt. Entsetzen hatte sich breit gemacht, als Schlesinger der Mitarbeit für die Stasi bezichtigt worden war, ohne dass auch nur ein Beleg vorgelegen hatte. Bis zur offiziellen Entlastung seitens der Gauck-Behörde im Januar 1992 war er schutzlos üblen Anwürfen und handfester wirtschaftlicher Einbußen ausgesetzt.

Das vorliegende Porträt Klaus Schlesingers ist auch insofern in seiner ganzen Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit gelungen, da Astrid Köhler privaten Briefverkehr sowie Klaus Schlesingers unveröffentlichte Tage- und Notizbücher berücksichtigen konnte. Astrid Köhler ist es eindrucksvoll geglückt, eine widersprüchliche Schriftstellerpersönlichkeit dem Vergessen zu entreißen. Gerade für ein zusammenwachsendes Europa sind Auskünfte über jene Biografien unentbehrlich, die der Ost-West-Teilung unmittelbar ausgesetzt waren.

Titelbild

Astrid Köhler: Klaus Schlesinger. Die Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2011.
395 Seiten, 26,99 EUR.
ISBN-13: 9783351027360

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