„Geschwerl und Nullenpack“

Kein Entkommen aus der akademischen Spähre: Ein Sammelband versucht Rainald Goetz zu fassen zu kriegen

Von Andreas ThammRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Thamm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Ingeborg-Bachmann-Auftritt 1983 gilt er als eine „Legende der deutschsprachigen Literatur“, als Punk und Raver, das Scharnier zwischen U und E, der DJ unter den Autoren, der große, gegenwärtige Neurotiker: Rainald Goetz. Die literaturwissenschaftliche Zeitschrift „Text + Kritik“ setzt ihm in ihrer 190. Ausgabe ein Denkmal, reiht Goetz ein zwischen Kling, Frisch, Enzensberger und so vielen anderen großen deutschsprachigen Literaten und scheitert am Ende doch im Versuch, diesem hyperaktiven Geist gerecht zu werden.

Neun Kultur- und Literaturwissenschaftler nähern sich dem Phänomen Goetz auf diesen knapp 100 Seiten. Es sind hoch dekorierte Experten für die literarische Moderne, den Postmodernismus, Strukturalismus und die Pop-Ästhetik. So klingt das über weite Strecken allerdings auch – es regiert ein akademischer Duktus, der sich vor allem um die Herstellung von Komplexität bemüht, dem aber der Wunsch nach einer größeren Leserschaft nicht anzumerken ist. Bände wie diese, ob vom kürzlich verstorbenen Herausgeber Heinz Ludwig Arnold intendiert oder nicht, haben offensichtlich nicht den Anspruch, sich je aus der Sphäre des akademisch- literaturwissenschaftlichen Betriebs freizuschwimmen.

So viel zum Rahmen, in dem hier formuliert und analysiert, ein Werk in seine Bestandteile zerlegt wird. Die Umsetzung birgt freilich die größtmögliche qualitative Fallhöhe. Eckhard Schumacher etwa, Professor für Neuere Deutsche Literatur und Literaturtheorie an der Uni Greifswald, gelingt es in seinem Essay „Adapted from a true story“, den Aspekt der „Fiktionsfiktion“ in „Rave“ und „Dekonspiratione“ deutlich herauszuarbeiten. Die radikale, fast manische Gegenwärtigkeit im Ansatz dieser Roman-ähnlichen Schriften ordnet er in einen dialektischen Zusammenhang mit dem „Tod des Autors“ ein, wie er durch Michel Foucault und Roland Barthes verkündet wurde.

Nach Schumacher holt Goetz den Autor aus seiner Gruft zurück, lässt die drängende Frage nach Autorschaft und Authentizität jedoch offen und stellt sie immer wieder neu. „Die Autorschaft wird so“, schreibt Schumacher, „zu einem integralen Bestandteil der Fiktion.“ Und später: „Das handelnde Ich ist nicht souverän, sondern eine strukturell verunsicherte Produktionsinstanz.“ Im Ganzen ist das spannender, als es klingt. Es stellt sich die Frage, ob das Konzept, nach dem Goetz „Rave“ und „Dekonspiratione“ geschrieben hat, nicht doch anders ausgerichtet gewesen sein könnte.

Auf ähnliche Art findet auch die Punkästhetik („Irre“) und die Positionierung von Goetz als „neuer Intellektueller“ (mittels „Kontrolliert“) ihren Platz im Band. Es soll kein Aspekt der Poetologie unter den Tisch fallen. Gleichzeitig kann sich keiner der Autoren des Versuchs erwehren, den Protokollanten der Zerfaserung unserer Subjektivität in Schlagworten zu fassen zu kriegen. Bei Andres Wicke (Uni Kassel) ist es mit „brülllaut und hyperklar“ getan, den Kern von Goetz Produktion zu treffen, bei Norbert Otto Eke (Uni Paderborn) und Jochen Bonz (unter anderem Uni Basel, Uni Osnabrück) geht es vielmehr um den Anspruch von Goetz die „wirkliche Wirklichkeit“ mit Sprache festzunageln.

Was nicht fehlen darf: Am Anfang steht freilich Goetz’ Auftritt beim Bachmann-Preis in Klagenfurt 1983. Rainald Goetz schneidet sich vor laufenden Kameras, während der Lesung seines frühen Prosawerks „Subito“, mit einer Rasierklinge die Stirn auf. „Dieses ganze Geschwerl und Nullenpack soll ruhig noch jahrelang den BIG SINN vertreten. Wir müssen etwas Wichtigeres tun. Wir müssen ihn kurz und klein schlagen, den Sausinn, damit wir die notwendige Arbeit tun können“, zitiert Bonz aus „Subito“ – von Geschwerl und Nullenpack und Sausinn: die punkästhetische Poetologie eines spürbar jungen Autors, die „Zerschlagung symbolischer Ordnungen“ als ein erster, deutlicher herausgearbeiteter, aber kleiner Aspekt innerhalb des Gesamtwerks.

Auch die Kollegen aus anderen Epochen können sich nicht dagegen wehren, von den Geisteswissenschaftlern im Sinne solcher Wegmarken im Werk von Goetz herangezogen zu werden. Die intertextuellen Bezüge sind riesig, aber nicht wahllos, sie heben aber vor allem Goetz dezidiert auf den Literatenthron auch unserer Zeit: Aus der Synthese von Goethe, Brinkmann, von Hoffmansthal, Bernhard, Novalis und Beat muss diese Schreibe irgendwie entstanden sein, die neun Experten zu höchsten geistigen Verrenkungen verführt.

Letztlich entsteht in dem „Text + Kritik“- Band über Rainald Goetz jedoch ein höchst diffuses Bild. Schreiben sei für Goetz, so Charis Goer (Uni Bielefeld) in ihrem höchst gelungenen Essay über  die Funktion seines Werks hinsichtlich der kulturellen Verarbeitung der RAF, nicht weniger als eine „lebenserhaltende Maßnahme“. Statt einer Synthese entstehe bei Goetz in der Betrachtung eines Topos ein „Netzwerk von Gedanken“.

Rainald Goetz wird hier vor allem als ein Autor kenntlich, der Wunden aufreißt, sich aber trotzdem nicht punkermäßig dem gesellschaftlichen Diskurs entzieht – als einer, der dem eigenen Gegenwärtigkeitsanspruch neurotisch nachjagt, aus dem Texte entstehen, die nie hermetisch sind, sondern immer über sich hinausweisen. Die Relevanz des Autors Goetz für unser Sprechen über Literatur wird in dem Buch nicht unbedingt„hyperklar“, aber immerhin deutlicher.

Kein Bild

Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Rainald Goetz.
edition text & kritik, München 2011.
115 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783869161082

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