Ohne Perücke

Werner Busch schreibt über Reflexe von Bildern in Laurence Sternes Roman „Leben und Ansichten von Tristram Shandy. Gentleman“

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Werner Buschs Buch über das Zitieren von Werken der bildenden Kunst in Sternes Romanen „Tristram Shandy“ und „Sentimentale Reise“ ist eine gelungene Abhandlung über das Referieren von und über Bilder in literarischen Texten, verfasst von einem großen Kenner der Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts. Erwähnt sei dazu nur Buschs bekanntes Buch „Das sentimentalische Bild“.

Busch zeigt sich in dieser Abhandlung aber auch als exzellenter Kenner des Stern’schen Œuvres. Die literarische Methode Sternes bilden die Digressions, das heißt Ablenkungen vom eigentlichen Handlungsstrang, durch ausführlich beschriebene Nebenszenen. Mit ihnen grenzt sich Sterne in erster Linie von der Vernunftlogik John Lockes im „Essay Concerning Human Understanding“ ab. Zugleich ist der ganze Text des „Tristram Shandy“ von Anspielungen auf bekannte literarische Quellen durchzogen, darunter als maßgeblicher Bezugspunkt Robert Burtons „Anatomy of Melancholy“. Darin heißt es sinngemäß, dass alle neuen Werke nur Aufguss bereits bekannter Ausführungen seien.

Die Stern’schen Ablenkungen vollziehen sich inhaltlich nach dem im Titel benannten Prinzip: Great wits jump, das heißt große Geister vollziehen Gedankensprünge. Dies soll vermitteln, dass der Erkenntnisprozess an sich auf Assoziationen beruht und daher sprunghaft, also mit Abweichungen, verläuft. Während Sterne angesichts dessen einerseits Wert darauf legt, das Vorstellungsvermögen seiner Leser nicht zu sehr durch detaillierte Beschreibungen einzuengen, existieren in seinem Roman andererseits detaillierte Angaben von Gesten, Haltungen und Gegenstände, die so ausführlich sind, dass sie den Leser schlichtweg in seiner Imagination überfordern. Darin erkennt Busch gezielte Anspielungen auf referentielle Werke der bildenden Kunst.

Als erstes führt er Sternes Porträt von Joshua Reynolds als Beleg für seine These an. Die leicht auf dem Kopf verrutschte Perücke des Autors gibt einen Rubens’schen Satyr als Vorbild der Darstellung zu erkennen. Sternes nach der Publikation der ersten zwei Bände des „Tristram Shandy“ entstandenes Bildnis bot diesem nach Busch den willkommenen Anlass, die genannte bildliche Anspielung in der nächsten Lieferung des Romans auch wortwörtlich aufzugreifen, nämlich mit der Perückenszene. Tristrams Vater Walter zieht mit der rechten Hand die Perücke ab, während er mit der linken Hand nach einem Taschentuch auf der anderen Rockseite gräbt. Als Referenz hierfür wird von Sterne sein Porträtist Reynolds ins Feld geführt, dem es seinerseits nie in den Sinn gekommen wäre, einen Gentleman ohne Perücke darzustellen. Auch der Satiriker William Hogarth, welcher die Titelillustrationen des Romans schuf, wäre nicht so weit gegangen. Aber man erkennt mit Werner Busch auf einem seiner Stiche einen Geistlichen in einer ganz ähnlichen Pose.

Tatsächlich berief sich Sterne mit seiner „verhenkerten“ Pose aber wohl auf Annibale Carraccis „Schlachterladen“ als Vorbild für die entsprechende Haltung, ein Gemälde, dass Sterne bei einem reichen Kunstsammler in London gesehen haben kann, wie Busch plausibel darzulegen vermag. Als ikonografisches Vorbild des vor Verzweiflung über die verstümmelte Nase seines Sohnes Tristram vorn über das Bett hinfallenden Vaters benennt Busch dagegen den im Schoß Dalias liegenden Samson auf einem Werk van Dycks. Dies vermag vor allem durch die satirische Doppeldeutigkeit des biblischen Helden als Opfer der verführerischen Frau einerseits, aber auch den typologischen Hinweis auf Samson als biblischen Vorläufer Christi andererseits zu überzeugen. Darüber hinaus kann der Satyrcharakter von Reynolds Sterne-Porträt durch seine erotische Konnotation für die sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehende „Nasologie“ des Autors gelesen werden, denn das Erotische wird bevorzugt an der großen und zerdrückten Nase seiner Protagonisten abgehandelt. Das geschilderte Zitat- und Verweisverfahren Sternes macht auch den unwiderstehlichen Reiz der Lektüre des „Tristram Shandy“ Romans aus. Busch bringt uns diesen Autor auf überaschende und intelligente Weise wieder nahe.

Titelbild

Werner Busch: Great wits jump. Laurence Sterne und die bildende Kunst.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011.
235 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783770552160

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