Spuren verfolgen

Deon Meyer versucht sich in „Rote Spur“ an der Komplexität von Geschichten – den Versuch ist es immerhin wert

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage nach der Nachvollziehbarkeit von Verbrechen beziehungsweise die Detektion des Täters treibt das Kriminalgenre von Beginn an um. Egal aber ob nun Ehemann oder Menschenaffe, die Komplexität des Themas ist groß genug dafür, dass sich die Krimischreiber an immer neuen Lösungen versuchen, um die Kausalketten zu rekonstruieren und plausibel zu machen.

Dagegen steht freilich der Umstand, dass sich Handlungs- und Wirkungsketten in der Realität als zufälliger und fragmentarischer erweisen als dies in intelligiblen Konstruktionen der Fall ist, zumal dann wenn mehrere Handlungsbereiche ineinander greifen müssen. Und Beweisketten, die sich ja stets als Echo von Kausalketten ausgeben, sind nichts anderes als heuristische Konstruktionen. Die Einzelkomponenten und deren Zusammenhänge werden hergestellt (in den Beweisführungen und Urteilsbegründungen im Wesentlichen schriftlich) und treten damit an die Stelle der Ereignisse, die in der Historie der Chronologie ja unrettbar verloren sind. So gesehen gibt es keine Chance für Erfahrung oder Wissen als die Rekonstruktion auf der Ebene der Schrift.

Konventionelle Texte ziehen daraus die Konsequenz, aus Ereignissen und ihre Anordnung in der Zeit geschlossene Erzählungen zu machen, an deren Ende die Identifizierung des Täters steht. Dass das einen voluntaristischen Zug hat, ist jedem ersichtlich, der sich an solchen Themen abarbeitet. Aber eben auch, dass es dazu keine wirkliche Alternative gibt.

Denn die Romane seit Beginn des 20. Jahrhunderts nehmen eine heuristische Zwischenposition ein, indem sie die Fragmentarität, ja Aleatorik der Ereignisse und deren Abfolge aufnehmen, dabei jedoch ihren Konstruktionscharakter nicht verleugnen. Auch die Montage von Ereignissen ist immer noch Montage und nicht die Abfolge selbst.

Dabei wird ein Teil von Realitätserfahrung gerettet, der in der theoretischen Diskussion als Kontingenz beschrieben worden ist, und einer Haltung, die sich Kontingenztoleranz nennt. Aushalten oder besser noch: hinnehmen, was geschieht, ohne dass es notwendig oder ableitbar ist, ist eine der wichtigsten Qualitäten in der Moderne, einer Moderne, die sich von der Idee einer allgemeinen Ordnung und deren maßgeblicher Instanz, die sie herstellt und sichert, verabschiedet hat, ohne die Arbeit daran aufzugeben.

Don Meyer, der in Deutschland bereits eine Reihe von Krimis veröffentlich hat, hat diese Erkenntnis nun in eine recht unterhaltsame Romankonstruktion zu fassen versucht. In drei Geschichten erzählt er den Transfer von Diamanten nach Südafrika, die möglicherweise dort für die Finanzierung eines islamistischen Anschlags verwandt werden sollen. Die Initiatoren des Deals nutzen dabei die Kompetenzen einer Straßengang und einer Spurenleserin. Die Antiterrorbehörden und die Polizei suchen nach den Hintergründen und Akteuren. Die Erzählung selbst aber ist in drei Teilerzählungen getrennt, die kaum vermittelt nebeneinander stehen. Diese Teilerzählungen widmen sich einem Leibwächter, der von der Spurenleserin hintergangen wird (1), einer Frau, die sich aus dem Hausfrauendasein emanzipieren will und dabei in eine Liaison mit einem Schmuggler gerät (2), und einem ehemaligen Polizisten, der nach dem Verbleib eines Mitarbeiters des lokalen Busunternehmens fahndet (3). In die Geschichte der ehemaligen Hausfrau eingebunden sind die Recherchebemühungen einer Antiterroreinheit, die die Auflösung fürchtet und deshalb Erfolge vorweisen muss (was ihr nicht gelingt).

Die Aktivitäten der jeweiligen Protagonisten werden nacheinander weitgehend unverbunden erzählt. Sie spielen in unterschiedlichen Kontexten, mit unterschiedlichem Personal und mit anderen heuristischen Zugängen. Die Emanzipation der Hausfrau, der Auftrag des Leibwächters und die Ermittlung des Neudetektivs könnten ohne weiteres nacheinander aufgereiht werden, ohne dass sie irgendetwas miteinander zu tun haben. Dennoch drehen sie sich um ein gemeinsames Zentrum: Eine Lieferung von Diamanten und deren Aufspürung (Teil zwei geht dabei vermittelt vor; hier steht das Verhältnis zwischen Leibwächter und Spurenleserin im Vordergrund).

Das Interessante an der Konstruktion, die Meyer wählt, liegt in der Kombination zweier Erzählprinzipien, in der Montage von drei weitgehend konventionell erzählten Erzählungen, die aber ihr Thema aus verschiedenen Blickwinkeln angehen. Daraus entsteht eine aufschlussreiche Distanz zum Geschehen, die selbst wiederum auf die Unschärfe verweist, mit der das reale Geschehen versehen ist: geschieht es derart – oder ist es einfach nur nicht so schnell erkennbar?

Die Neigung geht zum Zweiten, und insofern zeigt Meyers Text die Leistungsfähigkeit des Krimigenres, auch wenn er in den Einzelerzählungen vergleichsweise konventionell bleibt. Es ist damit nicht die Kompliziertheit der Erzählung, auf die es ankommt, sondern die Kombination der Teile, die den Roman aus dem Normalbetrieb des Genres abhebt. Der Rest ist Geschmack.

Titelbild

Deon Meyer: Rote Spur. Roman.
Übersetzt aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer.
Rütten & Loening Verlag, Berlin 2011.
625 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783352008108

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