Gegen die Holocaust-Müdigkeit

Avraham Milgram und Robert Rozett bringen mit ihrer Broschüre „Der Holocaust. FAQs – Häufig gestellte Fragen“ wichtige Informationen zum Holocaust auf den Punkt

Von Constanze FiebachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Constanze Fiebach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was gibt es über das unsagbarste aller Ereignisse, den Holocaust, noch zu sagen? Unmittelbar nach dem Holocaust, bereits seit den 1940er-Jahren, haben sich Wissenschaftler aller Fachrichtungen darin versucht, dem Unsagbaren Sprache zu verleihen, Erklärungen zu finden, und füllen damit ganze Bibliotheken. Was soll eine schmale Broschüre, die gerade einmal 76 Seiten umfasst, von denen nur jeweils die Hälfte den eigentlichen Text ausmacht, einmal auf Deutsch, einmal auf Englisch, dazu noch beitragen?

Diese Frage ist berechtigt und dient als Grundlage eines überraschenden Leseerlebnisses. Die Israelische Gedenkstätte Yad Vashem hat im Jahr 2005 die 32 häufigsten Fragen zum Holocaust in der englischsprachigen Informationsbroschüre beantwortet, die seit 2011 auch in deutsch-englischer Ausgabe vorliegt.

Schon die in der Einleitung genannte Motivation zur Herausgabe verleiht dem Buch eine Berechtigung, die in Anbetracht der scheinbaren Allgegenwärtigkeit des Themas Holocaust in Medien, Schule und Politik möglicherweise nicht gleich ersichtlich wird. Die Herausgeber sprechen eine widersprüchliche Entwicklung der Erinnerung an den Holocaust an und machen darauf aufmerksam, dass gerade sein ständiges Bemüht- und Missbraucht-Werden zu einer „Holocaust-Müdigkeit“ in Europa führt. Dass daraus Unwissen folgt, das wiederum Gefahren wie Trivialisierung, Manipulation und Leugnung nach sich zieht, ist klar.

Nachdem der Gegenstand mit der ersten Frage „Was ist der Holocaust beziehungsweise die Shoah“ umrissen ist, greift die zweite Frage „Warum ist der Holocaust so wichtig für uns?“ die Frage auf, die sich viele in den Nach-Holocaust-Generationen stellen.

Weiter geht es mehr oder weniger chronologisch mit Fragen zum politischen Hintergrund des Nazi-Regimes und zu Diskriminierungen der Juden durch die Nazis seit der Vorkriegszeit. Wichtige Begriffe werden in den Fragen erläutert, und mit weiteren Informationen angereichert: Ghetto, Einsatzgruppe, Gaswagen, Konzentrationslager, Todesmärsche – um nur einige zu nennen.

Wichtige Fragen sind der Welt drum herum gewidmet: Wann hat die Welt vom Holocaust erfahren? Wie erreichten diese Informationen die freie Welt? Warum haben die Alliierten Auschwitz nicht bombardiert?

Besonders bemerkenswert ist, dass die Fragen nicht an dem Punkt aufhören, an dem die Nazi-Herrschaft und damit der Holocaust beendet war. Ein großer Fragenkomplex widmet sich dem Danach. Es geht um die „Gerechten unter den Völkern“, um „DP-Lager“ und die Holocaust-Leugnung, was die Aktualität des Themas verdeutlicht.

Die für viele wohl gewichtigste aller Fragen steht zum Schluss: „Wie war die Ermordung der Juden menschlich möglich?“ Es wird eingestanden, dass fast jede Antwort darauf alle Menschen, die an die Unantastbarkeit menschlichen Lebens glauben, verwirrt und beunruhigt zurück lasse. Trotzdem wird diese, wie alle Fragen in der Broschüre, in einer verständlichen und interessanten Weise beantwortet. Polarisierende Schuldzuweisungen und Schwarz-Weiß-Malerei, bei der Nazi-Deutschland ausschließlich böse dem guten Judentum gegenüber steht, findet man hier nicht.

Es gelingt den Herausgebern und Beiträgern dieses Büchleins in beeindruckend objektiver Weise, grundlegende Informationen, von denen man teils nur glaubte, dass man sie bereits erfasst gehabt hätte, in komprimierter Form darzubieten.

Titelbild

Avraham Milgram / Robert Rozett (Hg.): Der Holocaust. FAQs - Häufig gestellte Fragen.
Übersetzt aus dem Englischen von Diane Coleman Brandt und Ursula Kömen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
76 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308343

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