Finklers Fritz fängt frische Fische

Howard Jacobson zeichnet in seinem Roman „Die Finkler-Frage“ Spielformen des Antisemitismus nach

Von Jana BehrendsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Behrends

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Julian Treslove, gescheiterter BBC-Redakteur und Schauspieler-Double, könnte getrost die Hauptrolle in einem Woody Allen-Film übernehmen: Neurotisch zieht er durch London, stets auf der Suche nach dem, was ihn glücklich machen könnte. Das ist aber nicht die romantische Liebe, seine Kinder oder das fette Geld. Nein, es ist etwas komplizierter: Julian Tresloves Leben könnte für ihn soviel schöner sein, wenn es etwas tragischer verlaufen würde. Er wünscht sich kaum etwas sehnlicher, als dass eine geliebte Frau in seinen Armen stirbt, man ist versucht zu sagen: an einer seltenen Krankheit dahinsiecht.

Das undramatische Leben Tresloves hat für ihn jedoch nur optische Vorteile: „Die unerfüllte Erwartung tragischer Ereignisse verlieh ihm jedenfalls ein ungewöhnlich jugendliches Äußeres, wie man es sonst eigentlich nur von Menschen kennt, die zum wahren Glauben zurückgefunden haben.“ Auch die Benennung seiner Söhne nach italienischen Opern-Helden und seine Vorliebe für kränklich wirkende Frauen, derer er sich annehmen kann, bringen nicht die gewünschte Würze in sein Leben.

Und währends Tresloves Leben relativ ereignislos vor sich hin plätschert, kann er seine beiden Freunde Sam Finkler und Libor Sevcik nur beneiden: Beide haben vor kurzem ihre Frau verloren, was besonders Libor ausgiebig betrauert. Aber auch ohne tote Gattin ist ihnen etwas gemein: Beide, Libor und Sam, sind Juden. Das, da ist sich Trelove sicher, verleiht ihrem Leben von Grund auf Tragik und Extravaganz. Neben ihnen fühlt sich Treslove noch ordinärer und simpler als ohnehin schon. Dass beide auf ihre vermeindliche Auszeichnung lieber verzichten würden, nimmt Treslove in seinem Eifer gar nicht wahr. Treslove will teilnehmen an allem, was für ihn einen ,waschechten‘ Juden ausmacht. Verkörpert wird dieses Rollenbild vom selbstbewussten Sam Finkler, der Treslove alle Juden als „Finkler“ bezeichnen lässt. Sam Finkler beherrscht in Tresloves Augen die Gratwanderung zwischen Tiefsinnigkeit und Banalität perfekt. Dies spiegelt sich in Sams populärwissenschaftlichen Ratgebern wie „Das Glas halb leer: Schopenhauer für Komasuff-Teenies“ wieder. Ein Stück vom jüdischen Kuchen verspricht sich Treslove zunächst von einer kurzzeitigen Affäre mit Sams Frau Tyler – und ist schockiert, als diese sich als Nicht-Jüdin outet. Die „warme, dunkle, finklerische Humidität“, die Treslove beim Geschlechtsverkehr mit Tyler gespürt haben will, war also nur eine Wahrnehmungstäuschung. Glücklich wird Treslove erst, als er eines schönen Tages ausgeraubt wird. Die Täterin äußert etwas, das der Überfallene im Nachinein als „Du Jud“ interpretiert – und sich ab sofort zugehörig zum erlauchten Kreis, den er so bewundert und beneidet, fühlt. In der Folge reüssiert Treslove zu einem „Super-Juden“, und es scheint, als habe sich Jacobson bei seinem Rollentausch von Edgar Hilsenraths Groteske „Der Nazi & der Friseur“ inspirieren lassen. Dessen Protagonist Max Schulz, ehemaliger SS-Massenmörder und KZ-Aufseher, macht nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hilfe eines „grotesken Talmi-Philosemitismus“ (Friedrich Torberg) als jüdischer Friseur Itzig Finkelstein Karriere. Treslove lässt ab nun keinen Feiertag mehr aus und sich auf seine erste gleichberechtigte Beziehung mit der dicken Jüdin Hephzibah ein. Sie ist „Libors angeheiratete Großgroßnichte, vielleicht aber auch seine Großgroßgroßcousine“. So ist das eben bei den Finklern, denkt sich Treslove und wird von Hephzibah bestätigt. „Letztlich sind alle Juden Urururverwandte von irgendwem“.

So richtig zugehörig fühlt sich Treslove dennoch nicht und ärgert sich mehr als einmal über die von ihm wahrgenommene Arroganz aller Juden infolge ihrer Auserwähltheit: „Also blieb nur er allein übrig, […] Julian Treslove, finklerphil und Möchte-gern-Finkler, nur dass die Finkler in ihrem ethno-religiösem Seperatismus oder wie immer man das nennen sollte, nichts von ihm wissen wollten.“

Stechend scharf formuliert, mit tiefschwarzen Humor, Charme und Lakonie entlarvt Jacobsohn in seinem Roman philosmitistische Absurditäten als Spielart des Antisemitismus, in der Segregation eine stärkere Rolle als Gleichstellung spielt. Er belässt es dennoch nicht bei der nicht-jüdischen Seite. Was kann es heißen, heute in Westeuropa ein Jude zu sein? Welche Rolle spielen zunehmende antisemitische Übergriffe? Welches Selbstverständnis haben heute lebende Juden von ihrer Kultur? Wo sind Unterschiede, wo sind gemeinsame Eckpunkte?

Dass es, trotz aller Stereotypien, darauf so viele Antworten wie Juden gibt, stellt Jacobson in seinem Roman glasklar heraus. Die Identitätssuche vom Goi Treslove und seinem jüdischen Umfeld wurde nicht umsonst im vergangenen Jahr mit dem renommierten Booker-Price ausgezeichnet.

Titelbild

Howard Jacobson: Die Finkler-Frage. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011.
448 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783421045232

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