Schönheit verbindet

Ein von Karin Herrmann herausgegebener Sammelband verdeutlicht die Vielfalt und Einheit der Neuroästhetik

Von Andreas SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stellt man die Frage, wie sich die Einheit des Forschungsgebietes darstellt, das sich hinter dem Begriff „Neuroästhetik“ verbirgt, so steht man mit dem vorliegenden Band einer bunten Zusammenstellung unterschiedlicher Beiträge gegenüber, die sich aus der Vielzahl der beteiligten Disziplinen ergibt: Psychologie, Rechtswissenschaft und Kunstgeschichte – um nur einige zu nennen. Die Heterogenität der gewählten Fragestellungen bestätigt den naheliegenden Eindruck, dass der Zusammenhang der einzelnen Aufsätze hier in erster Linie darin besteht, dass in allen Fällen Überlegungen zum Bereich menschlicher Wahrnehmung im Allgemeinen und Kunst im Besonderen mit Aspekten neurowissenschaftlicher Forschung verbunden werden.

So finden sich beispielsweise Überlegungen Peter D.Stebbings und Stefan Heims zum Zusammenhang von biologischen, psychischen und ästhetischen Ordnungsprinzipien. In Frédéric Döhls Beitrag mit stark juristischer Ausrichtung wird die Auseinandersetzung mit ästhetischen Urteilen und insbesondere mit deren neuronalen Korrelaten als innovativer Impuls für Fragen des Urheberrechts vorgestellt. Marco Schüller wiederum zeigt, wie in einer Analyse literarischer Werke überholte Vorstellungen vom menschlichen Gehirn mittels der spezifischen Kapazität literarischer Gestaltung konstruiert werden.

Die Beiträge des Bandes variieren dabei in ihrer Qualität wie in ihrer Themenstellung, insofern der unterschiedliche Durchdringungsgrad des komplexen Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft hier ein wichtiges Kriterium darstellt. In herausragender Klarheit artikuliert dabei Zoran Terzić eine wichtige Einsicht in die Voraussetzungen, denen sowohl die Unterscheidung zwischen einer Welt der Kunst und einer Welt der Wissenschaft als auch die Versuche, eine solche Unterscheidung zu überwinden, unterliegen. Er zieht dabei in seinen Überlegungen eine Analogie zwischen den Versuchsanordnungen von Spiegelexperimenten der Renaissance und gegenwärtigen Rückschlüssen auf unser Denken auf der Basis neurowissenschaftlicher Bildgebungsverfahren. Indem er hier das Postulat der Beziehung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit als Kern ästhetischer Operationen identifiziert, gelingt es ihm, die Annahmen, die neurophilosophischen Schlussfolgerungen zu Grunde liegen, im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen zu führen. Eine Ästhetik der Neuroästhetik ließe sich in diesem Sinn als Weg etablieren, um sich produktiv mit den Brüchen und Widersprüchen der Debatten auseinanderzusetzen, die letztlich im Hintergrund der vorliegenden Aufsätze aufscheinen.

Auf diesen Hintergrund weist auch die Herausgeberin Karin Herrmann in ihrem gewinnbringenden Vorwort hin, indem sie die unterschiedlichen Herangehensweisen der einzelnen Aufsätze einerseits betont, und diese andererseits in den Kontext übergreifender Kontroversen einordnet, die sich an Begriffspaaren wie Geistes- und Naturwissenschaft, Geist und Gehirn, oder auch Verstehen und Erklären ablesen lassen. Die in gewissem Sinn radikalste Schlussfolgerung im Bereich neuroästhetischer Problemstellungen läge so wohl darin, sich von der Möglichkeit künstlerischer Freiheit auf Grund neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zu verabschieden, womit letztlich auf die vielschichtige Debatte zur Willensfreiheit verwiesen wäre. Die grundsätzliche Frage nach der Art des Zusammenhangs zwischen einer phänomenalen und einer neurobiologischen Ebene spielt dabei, sowie explizit oder implizit in allen Beiträgen des Bandes, eine zentrale Rolle. In diesem Sinn ist diese Zusammenstellung gerade auch durch ihre Heterogenität vorzüglich dazu geeignet, anhand der vielfältigen Fragerichtungen, die der Begriff der Ästhetik für die wissenschaftlichen Disziplinen eröffnet, der Rezeption, Adaption und Subversion neurowissenschaftlicher Forschungsperspektiven nachzuspüren.

Titelbild

Karin Herrmann (Hg.): Neuroästhetik. Perspektiven auf ein interdisziplinäres Forschungsgebiet. Beiträge des Impuls-Workshops am 15. und 16. Januar 2010 in Aachen.
Kassel University Press, Kassel 2011.
129 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783899589962

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch