„Goethe war der Laederach seiner Zeit“

Jürg Laederachs Erzählungsband „Harmfuls Hölle: in dreizehn Episoden“ entführt in eine groteske Welt des Sprachwahnsinns

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was muss eine gute Geschichte, ja, ein gutes Buch haben? Eine nachvollziehbare Handlung? Markige Charaktere? Eine stimmige Welt? Und das alles erzählt mit ebenso präziser wie dynamischer Sprache? Wenngleich sich über diese allgemein gehaltenen Kriterien sicherlich streiten lässt, so ist doch klar, dass sie Bestandteil fast jedes belletristischen Werkes sind. Wenn hier eine Ausnahme gemacht werden darf und gar muss, dann trifft sie sicherlich auf den Schweizer Jürg Laederach zu, dessen jüngster Erzählungsband „Harmfuls Hölle: in dreizehn Episoden“ den Leser zunächst fragend zurücklässt, weil eben diese Eigenschaften nur sporadisch zu finden sind.

Laederach ist ein Meister des Grotesken, seine experimentelle Prosa verwirrt den Leser und zwingt ihn geradezu, den Blick über den Tellerrand der obligaten Konvention zu richten. In „Harmfuls Hölle“ muss jeder Satz mehrfach gelesen, überdacht, interpretiert, die „Orgie der Wortpanik“ entwirrt werden – das jedoch tut man gerne, denn Laederach ist ein Ausdrucksartist und spannt schlichtweg virtuose Satzkonstruktionen, deren Doppelbödigkeit sich meist erst auf den zweiten (und bisweilen auch dritten und vierten) Blick offenbart. Er konstruiert eine Welt des Makabren, in der Frauen leben, bei denen „man einen Anschluß unter dem Arm“ sieht, der „einer Oboenklappe“ ähnelt. Mit einem Protagonisten namens Harmful, der gelegentlich Gummipuppen ausspeit und dessen Frau Arti das Schuppentier Grat gebärt, das fortan in einem Tümpel unter dem Bett lebt und sich von Katzen ernährt. Und letztlich auch mit einem Laederach, der augenzwinkernd über sich selbst schreibt: „Goethe war der Laederach seiner Zeit, aber er hat ein anderes Deutsch geschrieben als Laederach. Goethe und Schiller zusammen ergeben einen Laederach.“

Durch bizarre Gedankengänge und überraschende Satzkonstruktionen erschafft Laederach ebenso kleinformatige wie wirkungsvolle Karikaturen, Humoresken und Grotesken. Seine Bilder wissen zu fesseln. Bisweilen jedoch driftet die Sperrigkeit von „Harmfuls Hölle“ in nahezu totale Unverständlichkeit ab, vereinzelt überzieht Laederach seine Gedankensprünge ins Aberwitzige. Da gilt plötzlich, was der 66-jährige Baseler selbst schreibt: „Wiederholung macht statisch.“ Da wird die „Kunst“ zur „Umgangssprache“ und eben bis zum Stillstand übertrieben. Dieser Effekt hält jedoch nur kurz an – spätestens ab dem Nächsten der zahlreichen wohlkomponiert anrührenden Sätze befindet man sich wieder im Bann von Laederachs fantastischer Sprachakrobatik.

Die Aura des Fantastischen, der nicht zu überhörende „Unkenruf des Schicksals“ in Laederachs Welt hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Wenngleich sich die experimentelle Prosa von „Harmfuls Hölle“ zunächst außergewöhnlich sperrig präsentiert, so gilt doch zweifellos, was Laederach selbst formuliert: „Einfach lesen, immer lesen, dann entfällt das Problem.“

Titelbild

Jürg Laederach: Harmfuls Hölle. Erzählungen.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
190 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783518422434

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