Abrechnung mit den Despoten Afrikas

Über Ngugi wa Thiong’os Roman „Herr der Krähen“

Von Norbert KugeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Kuge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der kenianische Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong’o ist einer der wichtigsten afrikanischen Autoren der Gegenwart und wird sogar schon als ernsthafter Nobelpreiskandidat gehandelt. Seit er 1982 seine Heimat verlassen musste – er war auch wegen seiner politischen Haltung inhaftiert – lebt er im Exil, zurzeit in den USA. In Deutschland ist er zwar noch wenig bekannt, 2010 wurde aber bereits seine Autobiografie „Träume in Zeiten der Kindheit „veröffentlicht.

In diesem satirisch-grotesken Roman „Herr der Krähen“, den Ngũgĩ wa Thiong’o in seiner Muttersprache Gikuyu verfasste, der Sprache der zahlenmäßig größten Volksgruppe der Kikuyu, und selbst in Englische übersetzte, geht es um nichts weniger als eine Abrechnung mit den Despoten Afrikas, aber auch mit ihren Helfershelfern im Westen wie im Osten.

Was ist der Inhalt? In der fiktiven Freien Republik Aburia herrscht ein brutales Regime. Während seine Minister und alle anderen Figuren einen Namen haben, besitzt der Herrscher keinen Namen; dem Leser steht es also frei, hier reale Namen von realen Diktatoren aus Kenia oder aus anderen afrikanischen Staaten einzusetzen. Daran herrscht ja wahrlich kein Mangel, man denke an Robert Taylor, Robert Mugabe, Idi Amin und andere.

Ausgangspunkt und Symbol des Herrscherwahns in diesem Roman ist das Bauprojekt „Marching to Heaven“. Dieses gigantische Bauvorhaben soll den Turmbau zu Babel übertreffen und dem Herrscher Ruhm und Anerkennung in der Welt bringen. Um dieses Bauvorhaben realisieren zu können, benötigt der Herrscher jedoch große finanzielle Mittel der Global Bank in New York. Ngũgĩ erzählt mit überbordender Fabulierlust und teilweise grotesken Einfällen den Kampf um die Realisation dieses Bauprojektes zwischen den Hofschranzen, den Ministern und Beratern des Herrschers, insbesondere dem Außenminister Machokali und dem Minister und Chef des Geheimdienstes Sikiokuu einerseits und den plötzlich auftretenden, scheinbaren Dämonen als Gegner des Bauvorhabens andererseits. Zu diesen Dämonen zählen der unfreiwillig zum Herrn der Krähen aufgestiegene indischstämmige Akademiker Kamiti und seine Freundin Nyawira, die als Sekretärin für den Bauunternehmer Tajirika arbeitet, der unerwartet zum Vorsitzenden des Bauprojektes „Marching to heaven“ ernannt wird.

Nun überschlagen sich die Ereignisse und Aktionen rund um dieses Vorhaben. Angezogen von der Chance, einen Arbeitsplatz oder einen lukrativen Auftrag zu bekommen, bilden sich lange Menschenschlangen vor dem Büro des Bauunternehmers, die bis weit ins Land reichen, während Tajirika plötzlich psychisch erkrankt zu Bett liegt. Natürlich hat jetzt die Korruption Konjunktur und alles nimmt groteske Ausmaße an. Nicht nur werden die langen Schlangen zum Problem für das Büro Tajirika, sondern auch für die um die Gunst des Herrschers buhlenden Minister. Ihnen stellt sich die Frage, sind die Menschenschlangen für oder gegen das Projekt und damit für oder gegen den Herrscher?

Auch Kamiti wird in dieses Gewirr von Machtintrigen und Ängsten hineingezogen. Anlässlich einer Demonstration gegen das Projekt wird er von Polizisten verfolgt und kommt in der Folge der Ereignisse ganz ohne Absicht zu seinem Ansehen als Zauberer und Schamane. Er nennt sich Herr der Krähen und wird im Laufe der Ereignisse zu einer einflussreichen Person im Lande. Gemeinsam mit seiner Freundin Nyawira, die die geheime Untergrundbewegung „Stimme des Volkes“ anführt, wird er zum Gegenspieler des Herrschers und seiner Clique. Nach anfänglichem Zögern – er flieht sogar aufs Land, um der Politik und seiner Rolle zu entkommen – entdeckt er zufällig seine Heilkräfte und sieht sich nun als Nachkomme eines Sehers und Magiers. Er wird von den Mächtigen hofiert und von Armen um Hilfe gebeten, aber dann auch wieder – je nach politischer Lage – verfolgt, verhaftet und misshandelt. Da die Kredite für das Projekt „Marching to Heaven“ noch nicht bewilligt sind, reist der Herrscher mit Gefolge zur Global Bank nach New York, wo ihn eine rätselhafte Krankheit befällt.

Mit zunehmendem Warten auf die Bewilligung des Kredites durch die Bank bläht sich sein Körper immer mehr auf. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel und als letzter Ausweg wird der Herr der Krähen gerufen. Aber auch er kann nicht helfen und so muss der Herrscher krank und ohne Kreditbewilligung die Heimreise antreten. Das Projekt ist auf Eis gelegt. Soweit zum Inhalt, der Ausgang soll nicht verraten werden. Für diese grotesken und satirisch überhöhten Episoden findet Ngũgĩ eine wunderbare unaufgeregte, humorvolle Sprache, die von mündlichem afrikanischen Erzählen und afrikanischer Mythologie geprägt ist. Natürlich fragt man sich auch bei diesem Roman, wo jenseits der Satire das Positive beziehungsweise die positive Perspektive bleibt? Gibt es Hoffnung für die Republik Aburia und für den Kontinent Afrika? Die Perspektive, die Ngũgĩ aufzeigt, wird durch die positive Figur Kamiti repräsentiert, der mit seiner menschenfreundlichen und friedfertigen Art und dem respektvollen Umgang mit der Natur und der Tradition Afrikas für das bessere Afrika und seine Bewohner steht und damit für die positive Zukunft steht. Aber es wird ein langer Weg sein, bevor die Kamitis und Nyawiras die Geschicke der Staaten lenken werden, denn auch der Regimewechsel in Aburia führt zu keiner Besserung der politisch-ökonomischen Situation im Lande.

Mit diesem großartigen satirischen und grotesken Roman über die afrikanischen Despoten und ihre Helfer in aller Welt hat sich Ngũgĩ wa Thiong’o endgültig in die erste Reihe der zentralafrikanischen Autoren geschrieben. Für den Leser ist dieser opulente Roman ein reines Lesevergnügen, da Ngũgĩ die realistisch-satirische Erzählweise und die orale Erzähltradition des afrikanischen Kontinents hervorragend zu einem stimmigen und kenntnisreichen Ganzen zusammenführt.

Titelbild

Ngugi wa Thiong'o: Herr der Krähen. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Brückner.
A1 Verlag, München 2011.
976 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783940666178

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