Das Gesicht der Gegenwart

Zwei sehr unterschiedliche Bücher behandeln die „social community“ schlechthin: Facebook

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer vor zehn Jahren gesagt hätte, dass es möglich sei, 800 Millionen Menschen dazu zu bringen, ihre mehr oder weniger persönlichen Daten preis- und irgendwelche mehr oder weniger ernst gemeinten Statements zum Besten zu geben und dass es weiterhin möglich sei, damit rund 2 Milliarden US-Dollar im Jahr einzunehmen, den hätte man selbst mit viel Wohlwollen für verrückt erklärt. Doch das Geschäftsmodell Facebook funktioniert. Und es ist weit mehr als ein kontinuierlich wachsendes Unternehmen mit der Ambition, an die Börse zu gehen. Facebook ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Ein Imperium, ein Datenmoloch, eine Lebensform der Gegenwart. Ganz ohne Gewalt verschafft sich Facebook jene globale, kulturübergreifende Autorität, die die Vereinten Nationen gerne hätten. Neuerungen, von mutigen Daten- und Verbraucherschützern kritisch beäugt, werden durchgedrückt. „Sie werden hinzugefügt, Widerstand ist zwecklos!“ Und Facebook wächst weiter.

Längst ist Facebook auch zum Gegenstand der wissenschaftlichen und feuilletonistischen Betrachtung geworden. Zwei Neuerscheinungen versuchen, das „Phänomen Facebook“ zu packen: ein Sammelband mit kultur- und medienwissenschaftlichen Beiträgen („Generation Facebook. Über das Leben im Social Net“) und eine Anthologie mit persönlichen Annäherungen, vornehmlich aus der Feder von digital natives (Statusmeldungen. Schreiben in Facebook). Der Sammelband lässt das ernste Bemühen erkennen, die Bedeutung des Facebook für die (Medien-)Gesellschaft auszuloten, die Textsammlung hingegen mit spaßig-flapsigen Erlebnisberichten folgt eher dem Motto „Ich und mein Status“.

In den wissenschaftlichen Texten des Sammelbandes geht es um das Verhältnis des neuen „Lebens im Social Net“ zu altbacken anmutenden Dingen wie Freundschaft und Vertrautheit, Kernkonzepte der „klassischen“ Beziehungskultur, um einen veränderten Begriff des Subjekts, dem in einem immer dynamischeren Umfeld zwischen Fragmentierung und Integration eine profilierte Stabilität verliehen werden soll, um die sich anschließende Frage nach Privatsphäre und Datenschutz sowie um methodologische Probleme der Erforschung des Themenfeldes „Politik“ innerhalb der Facebook-Aktivitäten. Mithin werden Topoi angesprochen, die in der Wahrnehmung des Facebook-Normalverbrauchers zum Alltag gehören. Was gebe ich in meinem Mitteilungsdrang preis, was nicht? Was bleibt wirklich von mir übrig, bei der andauernden „Jagd nach sozialem Kapital“, nach vollzogener „optimierter Selbstdarstellung“? Welche Bedeutung haben dabei meine „Freundschaften“? Wie soll man umgehen mit extremistischen Seiten?

Die Frage ist allerdings, ob man Facebook mit einer derart vielschichtigen Analyse nicht doch überschätzt, sowohl hinsichtlich der Phänomenologie als auch der Bedeutung für den Einzelnen und für die  Gesellschaft. Beiträge etwa, die Facebook als „Beichtplattform“ eine geradezu quasireligiöse Bedeutung erlangen lassen, überspannen den Bogen in nicht unerheblichem Maße. Facebook schafft schließlich nicht die Themen und Probleme, sondern verdichtet und beschleunigt sie und erhöht damit die Dringlichkeit netzpolitischer Entscheidungen. Das originäre Problem bei Facebook sind die Besonderheiten der social community, also die Beziehungskultur, insbesondere die Verwertung, aber auch die Veränderung von Beziehungen. Zu diesem Thema liegen im Sammelband lesenswerte Beiträge vor.

Ein Problem, das Facebook heraufbeschwört, lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: „Wir haben online so viele Freunde, dass wir ein neues Wort für die echten brauchen.“ Solche Einsichten bilden den Startpunkt der kurzen persönlichen Auseinandersetzungen mit Facebook in der Anthologie „Statusmeldungen“. Die Autorinnen und Autoren stellen uns ihre als „Werkstätten“ betriebenen Profile vor, geben Diskussionen um Banalitäten wieder und erhärten so den Eindruck, dass Facebook vor allem eines wird: überschätzt. Auch ernsthafte Annäherungen an das eigene Facebook-Verhalten sind zu finden, etwa die These, im Facebook-User sei die Idee Leibniz’ von der fensterlosen Monade verwirklicht, die die ganze Welt aus sich selbst heraus wahrzunehmen imstande ist. Da ist sicher was dran. Die These eines anderen Autors zu Facebook lautet: „Facebook ist ein aus Kulturschutt gebauter Tempel des Zeitgeistes.“ Wenn dem so ist, scheint das angesichts der Beiträge wenig schmeichelhaft für den Zeitgeist. Denn die meisten Selbstdarstellungen bleiben – gewollt oder nicht – auf Facebook-Niveau. Damit ist zumindest das Ziel der Publikation vollends erreicht: Den Status zu melden und für die Nachwelt festzuhalten, die – Schreck lass nach! – sich kaum an Facebook wird erinnern können.

Für den Moment kommt dennoch an diesem Netzwerk so schnell keiner vorbei. An den beiden Büchern schon eher.

Titelbild

Stephan Porombka / Mathias Mertens (Hg.): Statusmeldungen. Schreiben in Facebook.
blumenkamp verlag, Salzhemmendorf 2010.
213 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783981068597

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Oliver Leistert / Theo Röhle (Hg.): Generation Facebook. Über das Leben im Social Net.
Transcript Verlag, Bielefeld 2011.
283 Seiten, 21,80 EUR.
ISBN-13: 9783837618594

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch