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Michael Connellys „Spur der toten Mädchen“ ist kein Glanzstück des Gerichtskrimis

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Selbstverständlich, man kann alles gut finden, anders kämen die ganzen Geschmacklosigkeiten nicht in die Welt, die sich leider dort finden. Aber wer sich darüber erhaben fühlen will, ist auch nur arrogant. Sei’s drum. Zugestanden also, wer sich von knapp 500 Seiten Gerichtsverhandlungsnacherzählung unterhalten fühlt, dem sei es gegönnt, aber das macht „Spur der toten Mädchen“ nicht zu einem guten Krimi.

Besser wird das allerdings auch nicht dadurch, dass der Titel bereits eine falsche Fährte legt – tote Mädchen kommen nicht vor, und eine Spur zu ihnen legt auch Connelly nicht offen. Der Klappentext schließt sich dem nahtlos an, denn auch wenn der Bösewicht dieses Krimis einmal nachts vor dem Haus des Ermittlers parkt (der eine Tochter im Alter des vormaligen Opfers des Killers hat), die Handlungslinie, die der Klappentext eröffnet, wird nicht entwickelt. Vorher wird der Mann umgelegt, was einen nach alledem kaum wundern kann.

Denn dass er schuldig ist, ist von Anfang an klar, spätestens seitdem Mickey Haller, der sonst als Strafverteidiger vom Rücksitz seines Towncars aus agiert, als zeitweiliger Staatsanwalt angeworben wird. Seine Aufgabe: den zu wiederholenden Prozess gegen einen wegen Kindermords verurteilten Mann zu führen und ihn wieder in den Knast zu bringen.

Die Alternativgeschichte, der Hebel, den jeder Strafverteidiger suchen muss, um die Anklage ins Leere laufen zu lassen, ist von Beginn an kraftlos: Die Spermaspuren, die auf dem Kleid des ermordeten Mädchens gefunden werden, stammen nicht von demjenigen, der für den Mord ins Gefängnis gegangen ist. Der Prozess muss wieder aufgenommen werden. Die Erklärung, dass die Spuren, die zum Verurteilten führten, von der Polizei gelegt wurden und dass der eigentliche Mörder der Stiefvater ist, wird die ganze Zeit über vom Text dementiert.

Dass die Staatsanwälte nicht daran glauben – ok, aber die Erzählung selbst lässt dieses Alternativszenario nicht zu, obwohl im Laufe der Handlung herauskommt, dass der Stiefvater die ältere Schwester des Opfers missbraucht hat.

Dieser Abzweigung, die die Handlung nehmen könnte, stellt Connelly eine andere Linie entgegen, in der vermutet wird, dass der Übeltäter keine überhastete Einzeltat verübt hat, sondern bei einer altbewährten Masche gestört wurde. Ein Serientäter also, der für eine Tat verurteilt wird, ohne Wissen von den anderen.

Das Ergebnis ist denn auch ziemlich schnell klar: Der Bösewicht ist der Bösewicht, und wenn er ins Gefängnis zurück muss, ist der Gerechtigkeit Genüge getan. Aber natürlich muss noch mehr geschehen, und es geschieht auch. Denn der Advokat des Bösen geht an seiner eigenen Unwahrhaftigkeit bitter zugrunde. Die Lüge wird eben nicht nur entdeckt, sie wird auch noch mit der größten Strafe überhaupt, die ein Krimi kennt, geahndet: Der Verteidiger stirbt von der Hand seines Mandanten.

An dieser Stelle ist Connelly Krimi zwar schon fast ganz vorbei – aber es gab nie einen Zweifel daran, dass das Ganze so böse enden wird. Also wird auch hier nichts verraten.

Dass hier so gut wie nichts im Dunklen bleibt, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Connelly so ziemlich alles erzählt, was es an Bewegung und Aktivität in der Handlungszeit geben mag. Jede Überlegung, jede Unterhaltung wird wiedergegeben. Lediglich die Überlegungen und Gespräche der anderen Seite bleiben ausgeschlossen. Ansonsten weiß der Leser jederzeit Bescheid, was die drei Ermittler so tun und denken. Die wenigen Suspense-Einstreusel sind halbherzig und von einem einigermaßen erfahrenen Krimileser voraussehbar. Außerdem ist es ein wenig unerquicklich, so ziemlich jedem Seufzer zu folgen, den irgendwer auf dieser Seite des Tresens tut. Der Roman plätschert vor sich hin und simuliert bestenfalls das, was man Spannung nennen kann.

Da hilft auch nichts, dass Connelly Teile seines Romans von einem Ich-Erzähler vortragen lässt, während der Rest deutlich neutraler erzählt wird. Das reicht nicht für ein modernes Buch, wenn ansonsten nur müde Konversationen notiert werden. Mit anderen Worten, Connellys Roman ist arg selbstgewiss und moralisch, dabei sehr konstruiert und vorhersehbar. Es tut zwar nicht weh, das Buch ganz zu lesen (immerhin hofft man noch auf eine unvorhergesehene Wendung), aber Krimi-Lesen soll ja auch nicht weh tun, oder?

Titelbild

Michael Connelly: Spur der toten Mädchen. Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2011.
491 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783426507902

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