Verbrannt – gedruckt – vermarktet

Ine Van Linthouts Studie über die Rolle des Buches in der NS-Zeit offenbart eine erstaunliche literaturpolitische Vielfalt im Kontext der Einfalt

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Am Anfang war das Feuer. Und das Feuer verbrannte alles, was schlecht war und bereitete den Boden für die Saat des Guten“. So oder ähnlich mögen sich die Verantwortlichen den Sinn ihrer Taten schmackhaft gemacht haben, als 1933 in ganz Deutschland bergeweise Bücher vermeintlich unwürdiger Autoren verbrannt wurden. Am Anfang der NS-Herrschaft steht damit die als kathartisch imaginierte Kraft des Feuers; leere Bücherregale symbolisieren seither nicht zu Unrecht in unzähligen Karikaturen diesen Neuanfang jenseits aller Vielfalt, aller Freiheit und aller künstlerischer Autonomie, und doch ist dies nur die halbe Wahrheit.

Auch der größte der brennenden Bücherberge hat nur symbolisch und exemplarisch gebrannt; Bücher mögen verboten gewesen sein, doch deshalb waren sie noch lange nicht aus jedem einzelnen Regal entfernt und aus jedem einzelnen Kopf getilgt. Die Bücherverbrennung war damit ein Initialakt, der in der Tat Platz geschaffen hat in der offiziellen Literaturlandschaft des „Dritten Reiches“, doch: War dieser Kahlschlag tatsächlich so radikal, wie es das kolportierte Bild suggeriert? War es möglich, von einem Moment auf den anderen die gesamte Literaturproduktion im engeren und weiteren Sinne zu paralysieren und Deutschland gleichzeitig auch hermetisch abzuriegeln gegen das Ausland, das ja weiterhin feindliche Literatur vertrieb? Und: Was hat nach dem Kahlschlag Platz gefunden in den geistigen Räumen des Nationalsozialismus? Nach welchen Kriterien und durch welche Mechanismen gelangten Bücher in den Druck und von dort in die Regale der Bevölkerung?

Diesem Fragenkomplex geht die vorliegende Studie nach, nicht die erste ihrer Art, denn das Interesse an den Strukturen des literarischen Lebens während des „Dritten Reiches“ – des gesteuerten wie des autodynamischen wie auch des subversiven – ist seit geraumer Zeit immer mehr in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Inzwischen hat man nämlich erkannt, dass das Bild eines einzigen, omnipotenten und omnipräsenten Lenkungsapparates nicht der Realität entspricht, dass es vielmehr verschiedene, durchaus auch konkurrierende Instanzen gegeben hat, die trotz aller auf den ersten Blick herrschenden Einigkeit und Uniformität doch eine gewisse Diversifikation im literarischen Leben produzieren konnten.

Betrachtet man die einschlägige Forschungsliteratur, so fällt zwar ein Standardwerk zum Thema ins Auge, doch ist dieses zum einen zu Beginn der 1990er-Jahre entstanden und enthält deshalb zum anderen auch nicht die Forschungstendenzen und -ergebnisse der letzten zwanzig Jahre. Hinzu kommt, dass darin die zwischen 1933 und 1945 entstandene Literatur deutlich zu kurz kommt; ein Defizit, das auch seither nicht durch eine entsprechende Gesamtdarstellung ausgeglichen worden ist. Diese Lücke zu füllen, hat sich die vorliegende Studie vorgenommen, die, so die Einleitung, „Ansprüche, Hintergründe, Erscheinungsformen, Hindernisse und Ergebnisse der nationalsozialistischen Buchpolitik untersucht, um die Bedeutungen und Funktionen des Buchmediums, insbesondere auch der schöngeistigen Literatur, für die damalige Propagandapolitik zu ergründen.“

Das Ganze geschieht anhand ausgewählter Beispiele, also exemplarisch, und unter Berücksichtigung der Herrschaftsperspektive, also vor dem Hintergrund der Frage, wie das Buch in das nationalsozialistische Herrschersystem integriert ist – was vor allem den Aspekt der Instrumentalisierbarkeit in den Mittelpunkt des Interesses rückt.

Grundlage ist dabei die These, dass ein gewisses Maß an Differenzierung ein zentrales Prinzip der Propaganda und eines von mehreren Verfahren im Gleichschaltungssystem gewesen ist. Diese These ist einleuchtend, denn schließlich sollten alle, oder zumindest möglichst viele Menschen erreicht werden, deshalb musste dem Umstand, dass auch im „Dritten Reich“ die literarischen Geschmäcker verschieden waren, in jedem Fall Rechnung getragen werden.

Eingeteilt ist die Studie in drei Kapitel, die eigentlich eher Kapitelkomplexe sind. Davon befasst sich der erste mit dem Stellenwert des Buches in der modernen Mediendiktatur und der zweite mit den Hintergründen, Erscheinungsformen und Ergebnissen der Buchförderungspolitik. Die wichtigste Erkenntnis hieraus präsentiert das Buch, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen, als gleichwertiges Propagandamedium neben Film, Rundfunk und Presse.

Der dritte und letzte Kapitelkomplex ist der Binnendifferenzierung der Literatur im „Dritten Reich“ gewidmet und zeichnet die Vielgestaltigkeit der literarischen Propaganda aus der Perspektive der totalitären Differenzierung nach, die ein ideologisch differenziertes Lektüreangebot für unterschiedliche Leserkreise in unterschiedlichen Rezeptionskontexten und verschiedenen Gefühlslagen aufweisen kann.

Damit führt einmal mehr die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis zu einer ambivalenten Haltung und in dem konkreten Fall zu einer zweigleisigen Politik – den ideologischen Prämissen stehen die pragmatischen Reaktionen auf die Wirklichkeit gegenüber.

Die Studie profitiert von einer sehr breiten Materialbasis mit entsprechendem Quellen- und Literaturverzeichnis und einem zusätzlichen Namensregister. Dennoch: So interessant es klingt, und so umfangreich sowohl die Studie als auch das zugrunde liegende Material ist, man wird das Gefühl nicht los, dass zu diesem Thema das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Titelbild

Ine Van Linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik.
De Gruyter, Berlin 2011.
440 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110252712

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