„Eine eigene Meinung ist das Austauschbarste der Welt“

Rayk Wielands neuer Roman „Kein Feuer, das nicht brennt“ handelt von einem Reisejournalisten, der am liebsten daheim bleibt

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Öde Orte“ hat Rayk Wieland als Mitherausgeber dreier legendärer kleiner Bücher zwischen 1998 und 2003 den deutschen Lesern, die ja – statistisch gesehen – zu den reisefreudigsten der Welt zählen, vorgestellt. Ob Hamburg oder Hannover, Berlin, Bonn oder Bielefeld – in dem bei Reclam Leipzig erschienenen Stadtführern der etwas anderen Art bekamen sie alle ihr Fett weg. Fazit: Nur wer zu Hause bleibt, entgeht dem globalen Betrug von Tourismus-Agenturen, die noch dem hintersten Provinzkaff Flair und kulturhistorische Bedeutsamkeit attestieren. Auf Reaktionen aus den derart schmackhaft gemachten Städten musste man dann auch nicht allzu lange warten – in den betroffenen Bürgermeistereien gärte es.

Der Held von Wielands zweitem Roman „Kein Feuer, das nicht brennt“ – es ist erneut jener W., den die Leser schon aus „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ (2009) kennen – ist auf den ersten Blick ein anderer Typ von Reisereporter als die Phalanx jener Stadtbeschimpfer, die sich in den „Öden Orten“ austoben durfte. Er schreibt für die angesehene „International Geographic Revue“ und seine Reportagen über die erste Golfanlage im kommunistischen Nordkorea, Nashorn-Safaris in Afrika und eiskalte Tage im sibirischen Omsk rücken jegliche Fremde ganz nahe heran und machen Lust, das Beschriebene selbst zu erleben. Allein: Der Mann hat Berlin – man könnte geografisch sogar noch auf das alte „Ostberlin“ vor dem Mauerfall eingrenzen – nie verlassen. Seine Texte wurden erstklassig recherchiert – nur nicht vor Ort. Und ein Unrechtsbewusstsein ob dieses offenkundigen Betrugs scheint kaum vorhanden, denn: „Ich bin ja nur ein kleines Rädchen in der großen Verarschungsmaschine der Welt.“

Aber natürlich kann das nicht ewig gutgehen. Und indem W. eines Tages ganz genauso auffliegt wie der „Stern“ 1983 mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern oder der Verfasser der frei erfundenen „Neon“-Starinterviews 2010, steht er plötzlich vor der Notwendigkeit, sein Leben ändern zu müssen. Und was läge da näher, als nun, da er nicht mehr Reisereporter ist, zum ersten Mal in seinem Leben tatsächlich zu reisen, von Mauer zu Mauer sozusagen, das nur noch in Fragmenten existierende Berliner Bauwerk im Rücken, die Große Chinesische Mauer als Ziel vor Augen.

Vor drei Jahren hat Rayk Wieland mit der Geschichte um einen jungen Mann debütiert, der in den 1980er-Jahren ins Visier der Stasi geriet. Von Ostberlin nach München geschickte Gedichte ließen die misstrauischen Herren in der Normannenstraße aufhorchen. Wielands Erstling „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ gefiel als satirischer Epilog auf eine Welt, in der schon das Tragen vernieteter Hosen zur Vorladung beim Schuldirektor führen konnte, die so genannte Bückware für Haltungsschäden sorgte und die Partei einfach immer Recht hatte, auch dann, wenn sie – wie meistens – im Unrecht war. Unmittelbar nach der Wende wäre dieses Buch undenkbar gewesen. Es mussten erst mehr als anderthalb Jahrzehnte der Aufarbeitung der ostdeutschen Diktatur mitsamt ihrem Spitzelsystem vergehen, ehe gesagt werden konnte, was die Staatssicherheit auch war: ein lachhafter Haufen geistloser Trittbrettfahrer mit permanenter Feindparanoia, der hinter jeder nicht durch Staat und Partei sanktionierten Tat, Äußerung oder Verhaltensweise sofort einen Angriff auf die sozialistischen Grundwerte witterte.

Inzwischen also ist aus dem dichtenden W. ein Reisereporter geworden, der das Reisen verweigert. In gewisser Weise ist er sich damit treu geblieben, denn die Leser seiner Reportagen nehmen ihm jene fingierte Weltläufigkeit ja genauso ab wie die staatlich bestellten Interpreten aus Mielkes Ministerium ihn einst als Dichter mit dem Potenzial zum Staatsfeind wahrnahmen. Allein die jugendliche Naivität ist Wielands Protagonisten inzwischen gründlich abhandengekommen. Zum „immobile(n) Globetrotter“ macht ihn seine neue Einsicht in die Beschaffenheit der Welt, in die er nach der Wiedervereinigung hineingeraten ist. Der Reisereporter, der zu Hause bleibt und „aus 1000 Reiseberichten und Reportagen die 1001. zusammenkomponiert“, indem er dafür „ein bisschen Internet, eine Handvoll Reiseführer, Lexika und Literatur, dazu ein paar Telefonate“ benutzt, stellt seine Reaktion auf die Erkenntnis dar, dass Authentizität eher stört, wo es hauptsächlich um die Herstellung von Realitätssurrogaten zu gehen scheint. „Nicht selbst zu recherchieren, keine eigene Meinung zu haben, nirgendwo hinzugehen und das abzuschreiben, was andere abgeschrieben haben“ oder, anders ausgedrückt, genauso eine „Korruptionsmaschine, … Kopiermaschine, …Karrieremaschine“ zu werden wie die meisten anderen – es scheint ein Signum unserer Tage zu sein, in denen Kaminfeuer, wie der Romantitel suggeriert, nicht mehr brennen, sondern nur noch irritierend auf Großbildschirmen flackern.

„Kein Feuer, das nicht brennt“ ist unterm Strich nicht ganz so stringent wie Rayk Wielands Prosaerstling. An Witz, treffenden Dialogen und ein paar deftigen Seitenhieben auf die schreibende Kollegenschaft geizt der kleine Roman dennoch nicht. Unsere – vielleicht auch ein wenig übertriebenen – Erwartungen zu erfüllen, vermag er freilich nicht.

Titelbild

Rayk Wieland: Kein Feuer, das nicht brennt. Roman.
Verlag Antje Kunstmann, München 2012.
160 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783888977480

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