Eintauchen in die Welt der Poesie

Tagebuchaufzeichnungen einer Lyrikerin: Sarah Kirschs: „Märzveilchen“

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sarah Kirsch (1935 in Limlingerode im Harz geboren) war in den 1960er- und 1970er- Jahren eine vielbeachtete Lyrikerin in der DDR. Nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann siedelte sie 1977 nach Westdeutschland über. Für ihr dichterisches Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Georg-Büchner-Preis (1996), dem Jean-Paul-Preis (2005) und dem Johann-Heinrich-Voß-Preis (2006).

In den letzten Jahren trat die Schriftstellerin mehr mit Prosatexten an die Öffentlichkeit. Nach „Krähengeschwätz“ liegt nun in der Deutschen Verlags-Anstalt mit „Märzveilchen“ ein weiteres Prosabändchen vor. Es versammelt „lyrische“ Tagebucheintragungen vom Dezember 2001 bis zum September 2002, also von der etwa 66-jährigen Autorin.

Ob blumenhafte Wolken, kupferne Pappelwipfel oder knallweißer Nebel – die Tagebuchaufzeichnungen zeugen vom alltäglichen Eintauchen in die Welt der Poesie. Die Beobachtungen vermitteln dem Leser eine tiefe Verbundenheit mit der Natur. Kirsch beschreibt den Wechsel der Jahreszeiten mit eigenen Assoziationen, dabei bildet ihre innere Landschaft mit der äußeren Landschaft oft eine Einheit. Es geht neben der landschaftlichen Vielfalt auch um eine neue Lebensintensität.

Immer wieder reflektiert Kirsch auch tagespolitische Themen, die sie aus den Fernsehnachrichten entnimmt, wie die damaligen Ereignisse in Afghanistan oder den Amoklauf eines Schülers am Erfurter Gutenberg-Gymnasium. Überhaupt scheint die Schriftstellerin eine fleißige Fernsehzuschauerin zu sein, denn immer wieder erwähnt sie ihren abendlichen Fernsehkonsum: „Schöne Filme im TV. Da Marlene gleich hundert wird, „Shanghai-Lilly“ und „Der große Bluff“. Auch ihre Lesungen in den unterschiedlichsten Städten und Buchhandlungen erwähnt sie kurz.

„Märzveilchen“ beweist erneut, dass neben dem Gedicht die Tagebuchprosa die literarische Form ist, in der sich Sarah Kirsch zu Hause fühlt. In den Gedankenskizzen, Erinnerungen und meisterhaften Miniaturen bringt sie ihre Umwelt mit den brennenden Fragen unserer Gegenwart zusammen. So werden ihre poetischen Tagebücher zu einem schillernden, persönlich kommentierten Zeitdokument, und sie bezeugen das unvermindert hochkarätige Schaffen der großen Lyrikerin.

Titelbild

Sarah Kirsch: Märzveilchen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012.
237 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421045416

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