„Sie wissen nicht, wie dunkel es in mir ist“

„Jede Freundschaft mit mir ist verderblich“. Joseph Roth und Stefan Zweig – Briefwechsel 1927-1938

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich kenne, glaube ich, die Welt nur, wenn ich schreibe, und wenn ich die Feder weglege, bin ich verloren“, gestand Joseph Roth einmal Stefan Zweig. Sicher ist, dass der Autor des „Radetzkymarsches“ ohne seinen Freund der Welt viel früher verloren gegangen wäre. Voller Verehrung bezeichnete Joseph Roth den 13 Jahre älteren Stefan Zweig als den „Weisen vom Kapuzinerberg“ – Zweig war die beharrliche Stimme der Vernunft in diesem Leben voller Rastlosigkeit und Verzweiflung. Und das über ein Jahrzehnt lang, bis zu Roths Alkohol-Tod mit 44 Jahren im Pariser Exil 1939.

Es war eine schicksalhafte Freundschaft voller Gegensätze, zu deren Wiederentdeckung der bei Wallstein sorgfältig neu edierte Briefwechsel nun einlädt. Er enthält 184 Briefe und Postkarten von Roth an Zweig; umgekehrt sind es nur 45. Ein Missverhältnis, in dem sich die unterschiedlichen Lebensumstände der beiden österreichischen Dichter widerspiegeln; durch Roths unstetes Hotel-Leben dürften viele Schreiben Stefan Zweigs verloren gegangen sein.

Beide waren österreichische Juden und, als sie sich kennen lernten, erfolgreiche Schriftsteller. Doch Roth hatte es mit einem unbändigen Ehrgeiz in der Nachkriegszeit vom armen Nobody aus der galizischen Provinz zum Star-Feuilletonisten der Weimarer Republik gebracht. Zweig dagegen entstammte einer vermögenden Wiener Unternehmerfamilie und avancierte schon in jungen Jahren zum literarischen Shootingstar. Während dem gefestigten Großschriftsteller die Welt zu Füßen lag, war Joseph Roth die personifizierte Unruhe. Seine wiederkehrenden Selbstzweifel ertränkte er in Alkohol: „Ich habe Ihnen die ganze Zeit nicht geschrieben. Ich weiß, dass Sie Klagemauern nicht gern haben. Sie bringen auch kein Glück. Jede Freundschaft mit mir ist verderblich. Ich selbst bin eine Klagemauer, ein Trümmerhaufen. Sie wissen nicht, wie dunkel es in mir ist. Mein lieber verehrter Freund, Sie haben die Gnade des Glücks und der echten goldenen Weltfreudigkeit. […] Vergessen Sie nicht, dass ich seit meiner finsteren Kindheit zur Helligkeit emporstöhne“.

Zu Beginn ihrer Freundschaft, Ende der 1920er-Jahre, war gerade die Ehefrau Joseph Roths unheilbar an Schizophrenie erkrankt, wofür sich der Dichter die Schuld gab. Mit seinen Reiseberichten aus Russland, Galizien oder Frankreich musste er sich von nun an nicht nur seinen eigenen Unterhalt erschreiben, sondern auch die Odyssee seiner Frau durch teure Privatsanatorien. Dass der „große“ Stefan Zweig in seiner behaglichen Salzburger Villa ihn um sein Nomadenleben anfangs regelrecht beneidete, war für Joseph Roth schwer zu glauben. Und doch war es so: 1929 gestand ihm Zweig sein „Verlangen nach tragischen Erschütterungen“ ein und projizierte unerfüllte Sehnsüchte auf den gerade in Marseille logierenden „Hotelbürger“ Roth: „[…] wenn ich Ihnen aus Erfahrung raten darf, so ist es, möglichst spät und möglichst locker sich seßhaft zu machen, auch in der Literatur. Lieber vergessen als eine Marke werden, lieber minder gelesen und gerühmt, aber frei! Eine Hotelanschrift wie die Ihres Briefes zieht aus mir ganze Wirbel von Ungeduld hervor, ich sehe von Ihrem Fenster den vieux port mit der dünnen Linie der eisernen Laufkrahns, ich spüre den fauligen Geruch der ausgeladen[en] Orangen und höre das Rattern der Camions frühmorgens über das erbärmliche Pflaster. Welche sonderbare Stadt!“

Bezeichnend ist Roths Entgegnung, er besitze nicht mehr als drei Koffer, und romantisch erscheine ihm viel eher die Vorstellung, einmal eine eigene Wohnung zu besitzen. Von bitterer Ironie dabei ist, dass nur wenige Jahre später auch Stefan Zweig zu einem ruhelosen Hotelleben gezwungen sein sollte. Bis er aber 1934 nach London emigrierte, sollte Hitlers „Machtübernahme“ die Freundschaft auf eine harte Probe stellen. Hellsichtig sah Roth in seinem Pariser Hotelzimmer die kommende Katastrophe voraus; Zweig dagegen hoffte im zunächst sicher scheinenden Salzburg ähnlich wie Thomas Mann, sich als „unpolitischer“ Autor mit dem neuen Regime arrangieren zu können. Dafür, dass er an seinem deutschen Verlag festhalten wollte, hatte Joseph Roth kein Verständnis: „Es ist nicht nur die Stunde der Entscheidung in dem Sinne, daß man gegen Deutschland für den Menschen Partei nehmen muß: sondern auch in dem, daß man jedem Freund die Wahrheit sagen muß. Also sage ich sie Ihnen […]: zwischen uns Beiden wird ein Abgrund sein, solange Sie innerlich nicht ganz, nicht endgültig mit dem Deutschland von heute gebrochen haben. Lieber wäre mir, Sie kämpften mit dem ganzen Gewicht Ihres Namens dagegen. Wenn Sie Das nicht können: bleiben Sie wenigstens still.“

Joseph Roths Realismus hatte allerdings Grenzen: Im Exil wurde er endgültig zum melancholischen Verklärer der untergegangenen Donaumonarchie. Allen Ernstes glaubte er, nur eine Rückkehr des österreichischen Kaisers könnte Europa retten. In Pariser oder Amsterdamer Cafés verdammte Roth den Kommunismus und das Kino und schrieb buchstäblich um sein Leben; die Honorare und Vorschüsse rannen ihm nur so durch die Finger. In sechs Exiljahren entstanden noch zwölf Romane und Erzählungen und über 150 Artikel. Den Erzähler Roth zerstörte seine Trinkerei nicht, wohl aber den Menschen. Seine späten Briefe sind voller Selbstmitleid und irrationaler Hassausbrüche.

Mit Engelszungen und Geldsendungen versuchte Zweig, Roth zu beruhigen und zu einer Entziehungskur zu bewegen: „Lassen Sie mich, Ihren wirklichen Freund, ein Symptom sagen. Ich habe Briefe von Ihnen aus Jahren. Sie waren oft voll Bitterkeit. Sie waren aber niemals voll Haß. Jetzt sehe ich plötzlich Haß und Rachewut gegen Menschen in Ihren Briefen, Drohungen, sie selbst im Testament anzuprangern – ich flehe Sie an, Roth, Sie sind doch ein gütiger, ein helfender, ein verstehender Mensch: spüren Sie nicht das Böse darin, ein Böses, das nicht in Ihnen ist, das von außen kommt? […] Nein, Roth, ich will das nicht, das sind nicht Sie, das ist – und wenn Sie es hundertmal abstreiten – der Alkohol, der Sie gereizter, zornhafter gemacht hat als Sie es in Ihrem Wesen sind, der Sie dem eigentlichen Roth entfremdet.“

Für den Leser dieses bewegenden Briefwechsels bleibt offen, ob der Absturz Joseph Roths eine Folge der Exilsituation oder seiner Trunksucht war. Roth beharrte darauf, dass der Alkohol „keine Ursache, sondern eine Folge“ sei. Die Bitten Zweigs, „mit dem Saufen Schluss zu machen“, wies er empört mit dem Hinweis zurück, er trinke doch längst nur noch Wein. Nach dem Tod seines Freundes schrieb Stefan Zweig: „Wir werden nicht alt, wir Exilierten! Ich habe ihn wie einen Bruder geliebt“. Die „goldene Weltfreudigkeit“, die Joseph Roth in ihm erkannt hatte, hatte Stefan Zweig da längst verloren; drei Jahre später nahm er sich in Brasilien mit seiner zweiten Ehefrau das Leben.

Titelbild

Joseph Roth / Stefan Zweig: "Jede Freundschaft mit mir ist verderblich". Joseph Roth und Stefan Zweig. Briefwechsel 1927-1938.
Herausgegeben von Madeleine Rietra und Rainer Joachim Siegel.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
624 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308428

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