„Der Planet heißt Akademia“

Valentin Groebners „Gebrauchsanweisung“ zur Wissenschaftssprache der Geisteswissenschaften

Von Nora HoffmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Hoffmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klagen über die Unlesbarkeit vieler geisteswissenschaftlicher Publikationen sind nicht erst in den letzten Jahren an der Tagesordnung. Doch scheint man sich langsam nicht mehr mit diesem Dauerzustand abfinden zu wollen, wie eine mittlerweile recht hohe Anzahl von Abhandlungen über Wissenschaftsdeutsch und Schreibratgebern signalisiert. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Helga Esselborn-Krumbiegels „Von der Idee zum Text“ von 2002 und Martin Kornmeiers „Wissenschaftlich schreiben leicht gemacht“ von 2001 liegen beide mittlerweile in vierter Auflage vor und sind zu Standardwerken geworden. Das Nachfolgebuch Esselborn-Krumbiegels „Richtig wissenschaftlich schreiben: Wissenschaftssprache in Regeln und Übungen“ von 2010, das sich im Unterschied zu ihrem ersten Band, der den gesamten Schreibprozess behandelt, verstärkt auf Sprachliches konzentriert, erreicht bereits eine ähnliche Popularität – und damit ist die Liste der Publikationen noch lange nicht vollständig.

Bei einer vergleichenden Durchsicht der derzeit verbreiteten Ratgeberliteratur stellt sich allerdings eine ziemliche Unklarheit darüber ein, wie stark sich VerfasserInnen wissenschaftlicher Texte eigentlich an Regeln und Hinweise halten sollten, die sich aus den üblichen Gepflogenheiten wissenschaftlicher Texte ableiten (wie etwa Nominalstil, Ich-Verbot, Passivierung, Funktionsverbgefüge, mehrfach verschachtelte Satzgefüge). Als Alternative findet man etwa bei Kornmeier den Versuch, neue Standards einzuführen und gerade Studierende und Promovierende, die den zukünftigen Stil der Wissenschaftssprache prägen werden, stärker in Richtung einer verständlichen, lesbaren und damit auch alltagstauglichen Sprache zu lenken.

Valentin Groebner, der als Professor für Geschichte an der Universität Luzern verschiedene Schreibseminare für DoktorandInnen geleitet hat, legt nun dar, woher dieser Zwiespalt zwischen dem Festhalten an immer wieder kritisierten Normen einerseits und deren Aufbrechen andererseits rührt – nämlich aus höchst widersprüchlichen Anforderungen, insbesondere an geisteswissenschaftliche Dissertationen. Das macht den Band zu deutlich mehr, als der Titel vermuten lässt: Zum einen finden sich darin im dritten Teil Ausführungen dazu, wie sich ein wissenschaftlicher Text leserfreundlicher gestalten lässt, die sich teils von denen anderer Ratgeber abheben. Nicht auf sprachlich-stilistische Besonderheiten ausgerichtete Regeln und Übungen zum Selbststudium werden angeboten, oder eine Anleitung zum gesamten Schreibprozess, sondern ganz gezielt Reflexionen darüber, durch welche Strategien Leserorientierung erreicht werden kann. Zum anderen aber werden zunächst im ersten und zweiten Teil Strukturen und Mechanismen des universitären Systems angesprochen, über die nachzudenken sich für jede/n DoktorandIn lohnt. Dass dies auf eine sehr lebendige, bildliche und durchaus selbstkritische und -ironische Art geschieht, macht das handliche Bändchen umso unterhaltsamer und lesenswerter. Bisweilen allerdings mag manchem/r LeserIn dieser humorvolle Ton auf Dauer ein wenig überzogen erscheinen, oder man wünscht sich eine etwas raschere und weniger erzählerische Darstellung, aber das ist Geschmackssache und dürfte von der Gewöhnung an deutlich trockenere akademische Texte herrühren.

In den ersten beiden Abschnitten bringt Groeben die zentrale Problematik, „dass gute Schreibe quer zu den Hierarchien des Planeten Akademia liegt“, klar auf den Punkt und legt sie etwa an folgenden Einzelaspekten dar: Anträge sind auf oftmals inhaltsleere Schlagwörter angewiesen, um Aussicht auf Erfolg zu haben, und die ihrem Selbstverständnis nach autonome Wissenschaft ist von Geldgebern ebenso abhängig wie von wechselnden Forschungsmoden. Gerade Promovierende haben hier wenige Freiheiten und zudem die schwierige Aufgabe, für überforschte Gebiete darzulegen, warum ihre Arbeiten einerseits die Traditionen ihres Faches weiterführen, andererseits aber bahnbrechende Neuerungen versprechen. Weil sie darauf angewiesen sind, sich durch ihre Promotion die für das Überleben an der Universität nötige Reputation zu verschaffen, müssen sie sich in besonderem Maße an bestehende Regeln halten. Dadurch können sie etwa die vielfach geforderte Interdisziplinarität nur in der Form leisten, dass sie Teile anderer Disziplinen in das bestehende System der eigenen integrieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Stil: Zwar gilt ein persönlicher Stil als Vorteil und verschafft den zur Profilierung nötigen Wiedererkennungswert, doch der Spielraum für Individualität und positive Neuerungen ist begrenzt, sollte doch auch der übliche Fachjargon vorliegen.

Wie dieser Drahtseilakt zu bewältigen ist, dazu finden sich im dritten Teil Anregungen, die insbesondere zu einer besseren und vergnüglicheren Lesbarkeit verhelfen möchten: Grundlegend ist erstens die Aufgabe der Leserorientierung durch Ankündigungen, (Zwischen-)Zusammenfassungen und Rückverweise, die mit dem Bild eines Stadtführers anschaulich illustriert wird. Auch sparsam eingesetzte Markierungen bieten sich an, ebenso die gezielte Platzierung zentraler Inhalte am Beginn neuer Absätze. Dazu gesellt sich zweitens die Verdichtung. Erreicht werden soll sie durch die generelle Abgrenzung der Arbeit und eine Reduktion der begründet und bewertet eingebundenen Forschungsliteratur, Zitate und Fachtermini. In Anlehnung an die antike Rhetorik wird weiter empfohlen, abstrakte Sachverhalte mit – wiederum einer begrenzten Anzahl – sinnlich fassbarer Gegenstände, Orte, Geschichten oder Personen zu verknüpfen. Weiter kritisiert Groebner durch das Ideal der Unpersönlichkeit und Objektivität entstehende Phänomene wie die Subjekte ‚wir‘, ‚man‘ und ‚es‘, Passivkonstruktionen oder Substantivierungen, oft mit Gerundiven, allerdings ohne hierzu praktikable Alternativen anzubieten.

Der Band bietet damit eine gute Mischung aus sehr offenen und kritischen Einblicken in universitäre Prozesse und praktischen Ratschlägen für promovierende GeisteswissenschaftlerInnen. Nach der spannenden Lektüre bleibt man allerdings mit dem Gedanken zurück, dass es nicht allein an den Promovierenden sein sollte, sich in das bestehende System einzugliedern, sondern auch an der Zeit, diesem selbst einige Veränderungen angedeihen zu lassen.

Titelbild

Valentin Groebner: Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung.
Konstanz University Press, Konstanz 2012.
140 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783862530250

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