Ein stinknormaler Mensch

Gerhard Polt wird 70 Jahre alt

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Etwas Besonderes sei er ganz und gar nicht, so Gerhard Polt einst in einem Interview mit André Müller, „ich friß a Schnitzel, ich trink’ a Bier. […] Ich war nie ein Außenseiter, sondern immer genau mit dem Haufen“. Und doch zeichnet den Künstler Polt eine ganz besondere Eigenschaft aus: Er ist ein meisterhafter Beobachter genau dieses „Haufens“, seine Figuren sind bis ins Detail ausgearbeitete Porträts – von windigen Autohändlern, schmierigen Vertretern, skrupellosen Bauunternehmern, stolzen Garagenbesitzern, cholerischen Tennisfreaks, beflissenen Kleingärtnern und trinkfreudigen Schulbusfahrern.

Er stellt sie in all ihren Facetten vor, mal bauernschlau, mal schwer von Begriff, mal von grenzenloser Nachsicht, mal von einer unfassbaren Arroganz. Das Drumherumgerede liegt ihnen nicht sonderlich. Seine Figuren sind direkt, derb und unverblümt. „Noel, blas den Krüppel weg vom Platz“, fordert da der zuvor noch über „Fairplay“ und „Responsibility“ schwadronierende Tennismatchbesucher seinen Sohn auf; legendär sein Herr Grundwirmer, der sich aus dem Katalog eine Frau bestellt hat und sich minutenlang beschwert, dass Mai Ling etwas größer ist als angegeben und daher nicht ins extra gekaufte Kinderbett passt – aber immerhin „schmutzt […] der Asiate nicht“ und „d’Zündhölzl“ holen kann sie auch schon.

Ihr Fett weg bekommen aber vor allem die Gernegroßen und die Politiker. Gerade diejenigen also, die bei seinen Auftritten in der ersten Reihe sitzen und vor lauter Lachen gar nicht bemerken, dass sie selbst gemeint sind, wenn Polt in seinem Programm „Der Standort Deutschland“ als Vertreter der Hans-Seidel-Stiftung den Afrikanern die Demokratie erklärt. Eine Demokratie bayrischer Prägung selbstverständlich, in der eines sicher ist: „the upper always beats the under“. Denn die Sympathien Polts liegen zumeist bei den etwas einfältigen Kleinbürgern, die von den „Großkopferten“ übers Ohr gehauen werden sollen, prototypisch hierfür der Staplerfahrer Ferdinand Weitel, in Polts erstem Spielfilm „Kehraus“ (1983) versucht, die zahllosen Versicherungen, die er abgeschlossen hat, ausgerechnet auf dem Faschingsball „Traumpolice“ wieder loszuwerden.

Den Grundstein für seine Karriere auf den Bühnen der Republik legte der in München geborene und im Wallfahrtsort Altötting aufgewachsene Polt Mitte der 1970er-Jahre in der Münchner „Kleinen Freiheit“, hier hatte er seine ersten Kabarettauftritte. Ein erstes Ausrufezeichen war 1978 die Serie „Fast wia im richtigen Leben“, ausgerechnet im „Bayerischen Staatsfunk“, dem BR. Die Serie, die später auch in der ARD lief, war der Beginn der Zusammenarbeit mit seinem Freund Hanns Christian Müller und seiner TV-Partnerin Gisela Schneeberger und ist seit 2005 auch vollständig auf DVD-Box mit insgesamt über elf Stunden Spielzeit zu haben.

1980 erhielt Polt den Deutschen Kleinkunstpreis, sein live im Fernsehen übertragener Auftritt bei dieser Veranstaltung ist ein Highlight der TV-Geschichte: Polt sollte nach dem Willen der Redaktion auf keinen Fall den Spitznamen des damaligen bayerischen Ministers und späteren Bundesinnenministers Zimmermann, „Old Schwurhand“, nennen (Zimmermann war damals in eine Meineidaffäre verwickelt). Er jedoch schlug den zuständigen Redakteur mit einem ungewöhnlichen Mittel: Er schwieg zwei Minuten lang, nur von gelegentlichen Bemerkungen („ist teuer, so nichts zu sagen“) abgesehen.

Der Urbayer ist zwar in Bayern verwurzelt, aber er ist auch ein Weltbürger, nach seinem Studium der Politik, Geschichte und Kunstgeschichte in München wechselte er 1962 nach Göteborg, um dort nordische Sprachen zu studieren. Der Mensch Polt lebt heute in Bayern und Italien, er hat hier wie da sein Zuhause gefunden. Doch ein Ruhestand ist noch lange nicht in Sicht, unermüdlich tourt Polt durch die Lande, auch jetzt noch, nachdem sich seine jahrelangen Begleiter, die Biermösl Blosn, überraschend aufgelöst haben. Und altersmilde wird der Kabarettist sicherlich auch nicht, seine Angriffe auf die bayerische Staatsführung etwa haben nichts von ihrer Vehemenz verloren, auch wenn diese seine Auftritte nicht mehr als „verleumderische und bösartige Ehrabschneidung“ anprangern, sondern ihm 2001 gar den Jean-Paul-Preis verlieh.

Polt ist nach wie vor eine der wichtigsten Figuren des politischen Kabaretts, ein unermüdlicher Mahner und Erinnerer. Immer ohne erhobenen Zeigefinger, giftig und grantig, mal subversiv, mal derb, aber auch immer unterhaltsam, auch im siebten Lebensjahrzehnt. Wer sich mit seinem bisherigen Œuvre genauer vertraut machen möchte, für den gibt es pünktlich zum Jubiläum zwei besondere Editionen des Zürcher Kein & Aber Verlages. Zum einen eine CD-Box mit dem bescheidenen Titel „Opus Magnum“, die sämtliche Bühnenprogramme auf neun Discs versammelt. Leider hat man die jeweiligen Booklets der Original-Tonträger nicht reproduziert, sondern lediglich eine recht einfache Titelauflistung abgedruckt, der Box aber ein nettes, von dem Frankfurter Schriftsteller Jürgen Roth verfasstes Porträt Polts beigelegt.

Überaus gelungen – und eine Zierde für jedes Regal – ist die schlicht „Bibliothek“ betitelte Werkausgabe der Schriften Polts, die die mittlerweile vergriffene einbändige Sammlung „Circus Maximus“ ersetzt und um zahlreiche Texte erweitert. Die zehn Bände der Ausgabe dokumentiert alle Geschichten, Mono- und Dialoge und Stücke bis 2011, einige der Texte waren bislang noch nicht veröffentlicht. Claudia Pichler und Peter Haag haben zur Box noch ein Begleitbuch zusammengestellt, das auf über 120 Seiten nicht nur „Merkwürdiges“, sondern auch „Erschließendes“ (so die Untertitel) bietet; etwa die Rede zum Jean-Paul-Preis, Aufsätze zu Polt, verschiedene Briefe, Fotos und manche persönliche Bemerkung des Geehrten. Abgeschlossen wird das Büchlein mit einem Werkverzeichnis und einem Gesamtregister zur Werkausgabe.

Titelbild

Gerhard Polt: Circus Maximus. Das gesammelte Werk in einem Band. Alle Geschichten, Stücke, Monologe, Dialoge und Drehbücher.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2002.
828 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3036951016
ISBN-13: 9783036951010

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Gerhard Polt: Bibliothek. Werke in 10 Bänden und ein Begleitbuch.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2012.
59,90 EUR.
ISBN-13: 9783036956305

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Titelbild

Gerhard Polt / Gisela Schneeberger: Fast wia im richtigen Leben. 5 DVD.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2012.
675 min, 59,00 EUR.
ISBN-13: 9783036912202

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Gerhard Polt: Opus Magnum. 9 CD.
Mit einem Booklet-Text von Jürgen Roth.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2012.
510 min, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783036912745

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