Ein aufmerksamer Geschichtenerzähler

Zu John Burnsides neuem Roman „In hellen Sommernächten“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinen ersten beiden ins Deutsche übersetzten Romanen „Die Spur des Teufels“ und „Glister“ wurde der Schotte John Burnside aus dem Stand ein zumindest im Feuilleton viel beachteter Autor. Beim Publikum hatte er es da schwerer, obwohl Knaus als Verlag aus der Random-House-Gruppe durchaus Möglichkeiten hat, einen Debütanten per Werbung und Marketing bekannt zu machen. Spätestens mit der Verleihung der „Corine“ in 2011 für sein autobiografisches Buch „Lügen über meinen Vater“ rückte Burnside vom Status des Insiders ins Rampenlicht, war auf einmal sogar im hiesigen Fernsehen zu sehen.

Einen solchen Schwung muss man natürlich nutzen, denn schnell ist in Vergessenheit geraten, wer nicht regelmäßig präsent ist. Doch nur um der Präsenz willen ein neues Buch zu schreiben, es gar zu platzieren, ist Burnsides Sache nicht. Ganz im Gegenteil, der vergangenes Jahr bei Jonathan Cape veröffentlichte Roman „Summer of Drowning“, der nun in Bernhard Robbens äußerst feinfühliger und angemessen wortmächtiger Übertragung vorliegt, ist ein weiterer Solitär auf dem überschwemmten Romanmarkt und ein weiterer Beweis für des Autors Eigenheit und Wille zum kompromisslosen Erzählen. Das Buch spielt größtenteils auf der nahe des 70. Breitengrades gelegenen norwegischen Insel Kvaløy, der bekannteste Ort in der Umgebung ist Tromsø.

Dort leben Liv und ihre Mutter, eine bekannte Malerin in einem schön gelegenen Haus. Es ist der Sommer des Jahres 2001, die Schule ist zu Ende, Liv ist 18 Jahre alt und weiß noch nicht, wie es mit ihrem Leben weitergehen wird. In diese Phase, die zudem geprägt ist von den titelgebenden hellen Sommernächten, von einer gewissen übersinnlichen und traumhaften Atmosphäre, fallen mehrere Unglücksfälle, einer davon eröffnet dieses ganz erstaunliche und nicht klar fassbare Buch: „Ende Mai 2001, etwa zehn Tage nachdem ich ihn zuletzt gesehen hatte, wurde Mats Sigfridsson einige Kilometer von hier aus dem Malangenfjord gezogen.“ Es gibt keine Hinweise, keinen Abschiedsbrief, keine Gründe. Noch rätselhafter wird es, als wenige Tage nach Mats’ Tod dessen Bruder Harald ebenfalls tot aus dem Wasser geborgen wird. Beide, so Liv, waren wohl auf eine gewisse Weise mit einem Mädchen namens Maia zusammen, die zwar in deren Klasse ging, von der man aber nichts wusste. Liv, die ein sehr ruhiges Leben in und mit der Natur lebt, die lange Zeit fast nichts über ihren Vater weiß, weil ihre Mutter ihr nur die nötigsten Informationen dazu gegeben hat, die die Abläufe und Rituale ihrer malenden Mutter komplett in ihr Leben integriert hat, ist mit einem alten schrulligen Mann namens Kyrre Opdahl befreundet. Dieser Kyrre Opdahl ist ein in sich ruhender guter Geist, der bei Liv und ihrer Mutter kleinere Reparaturen ausführt, Liv immer einen Kaffee anbietet und ein kleines Ferienhäuschen vermietet, eine von John Burnside so genannte Hytte. Außerdem erzählt Kyrre Liv nach den mysteriösen Vorfällen von der Huldra, von der es gegen Ende des Buches einmal heißt: „Die Huldra war nichts als eine Idee, zweifellos eine Metapher für etwas, das sich schwer benennen und bloß unter Schmerzen näher in Augenschein nehmen ließ, ein widerliches Gespenst aus alten Geschichten, wie man sie sich erzählt, um junge Burschen auf Kurs zu bringen oder um die Dunkelheit fortzuerklären. Eine Geschichte, eine Warnung, ein abgeteiltes Gebiet auf einer Karte, das es uns erlaubt, eine unmögliche Welt zu erkunden“.

Wer nun meint, es handele sich bei „In hellen Sommernächten“ um eine versponnene esoterische Geistergruselgeschichte mit Naturbezug, der irrt. Und auch wieder nicht, denn auch ein dritter Mann, der in Kyrres Hytte Urlaub machte und der mit Maia eine Art Verhältnis hatte, verschwindet im Wasser, ertrinkt mehr oder weniger vor den Augen Maias, Livs und ihrer Mutter. Das ist dann eben nicht mehr so leicht und rational zu erklären und genau das macht den Reiz dieses verstörenden Buches aus, dessen Form und Sprache sich ganz und gar dem Inhalt, der Stimmung, der Landschaft anpasst. Die Form ist die der Erzählung aus der Erinnerung, denn Liv schreibt all die Geschehnisse im Jahr 2011 auf, erinnert sich an jenen Sommer, der so geheimnisvoll und bedrückend war und der ihr Leben verändert hat. Mittlerweile ist sie Ende 20 und lebt als Kartenzeichnerin weiterhin auf Kvaløy. Kyrre Opdahl allerdings ist ebenfalls verschwunden und auch von Maia hat man nie wieder gehört. Was damals wirklich geschehen ist, was real und was von Liv in jenen hellen Sommernächten in ihrer Fantasie entstanden ist, löst der Roman nicht auf, zumal er über viele weitere Themen verfügt und dem Leser weit mehr, als einen ruhigen, ja beinahe trägen Thriller zu bieten hat.

So gibt es im Mittelteil Livs Reise nach England, wo sie ihren im Sterben liegenden Vater besuchen möchte, es gibt die herrlich schrulligen Beschreibungen der Samstage, an denen Livs Mutter ihre so genannten Freier zum Tee einlädt, eine Gruppe Männer, die allesamt der exotischen Künstlerin verfallen sind. Und John Burnside schreibt mit viel Kenntnis und Sensibilität über Malerei, er findet eindrückliche Bilder der norwegischen Landschaft, beschreibt respektvoll Flora und Fauna und zeigt in seinen klaren Beobachtungen die Wirkung, die die Natur auf den Menschen ausübt. Besonders intensiv schreibt er über das Licht, das ja auch in gewisser Weise im Titel vorkommt und auf dem Cover der deutschen Ausgabe in Form von türkisfarbenen Schlieren, wie sie typisch sind für die Polarlichter, wiedergegeben ist. Norwegen und das Licht scheinen es dem Schotten in besonderer Weise angetan zu haben, denn sein Lyrikband trägt den Titel „Versuch über das Licht“ (2011) und darin findet sich das Gedicht „Die Ankunft des Postschiffs“, das Burnside nach einem Bild Edvard Munchs geschrieben hat.

Titelbild

John Burnside: In hellen Sommernächten. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Berhard Robben.
Knaus Verlag, München 2012.
379 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783813504606

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