Ein alter Bekannter reist vom Oridongo nach Vaksøy

Ingvar Ambjørnsen entführt seine Leser in seinem Roman „Den Oridongo hinauf“ auf eine Insel in Nordwestnorwegen

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den norwegischen Autor Ingvar Ambjørnsen hat es nach Hamburg verschlagen. Seit 1985 ist er in der Hansestadt heimisch, hier lebt er wahrscheinlich unentdeckter als in seiner Heimat Norwegen. Dort wird der Autor der Elling-Reihe auf der Straße erkannt, Fans bombardieren ihn mit Fragen zu seinen Büchern – ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass Ingvar Ambjørnsen einfach nur seine Ruhe haben will. Und eine Frage beschäftigt die Leser am meisten: Wann gibt es Neues von Elling? Der schrullige Vogel aus Ingvar Ambjørnsens vierbändiger Reihe entwickelte sich weltweit zu einer echten Kultfigur. Drei Filme brachten das Leben des menschenscheuen und verqueren Einzelgängers auf die Kinoleinwand. Der Schauspieler Kevin Spacey habe sich die Rechte für ein US-Remake gesichert, hieß es. Die Umsetzung befände sich in derzeit in Planung.

Aber vier Bände Elling sind den Fans einfach nicht genug, schließlich sei Ellings Geschichte noch nicht zu Ende erzählt. Der vielseitige Autor Ingvar Ambjørnsen schreibt Novellen, Romane, Sach- und Kinderbücher, schwieg aber dazu. 2009 erschien in Norwegen „Opp Oridongo“, drei Jahre später nun endlich die deutsche Übersetzung. Aber von Elling keine Spur. Oder doch?

Ein neues Leben auf Vaksøy

Hauptfigur in „Den Oridongo hinauf“ ist Ulf Vågsvik. Der Ich-Erzähler kam auf die kleine Insel Vaksøy in Nordwestnorwegen, um ein neues Leben mit seiner Brieffreundin Berit zu beginnen. Längst haben ihn die Einwohner akzeptiert und gemeinsam richten sie ein altes Haus her: Eine Familie aus den Niederlanden will nach Norwegen auswandern und hat sich ausgerechnet Vaksøy ausgesucht. Die Einwohner heißen sie willkommen, doch dann passiert eine Tragödie: Überraschend bricht während der Willkommensfeier der Vater tot zusammen. Schockiert läuft der jüngste Sohn Tom davon. Trotz ausgedehnter Suche bleibt er unauffindbar. Ulf findet ihn schließlich zufällig. Tom hat sich tief in sich zurückgezogen, spricht kein Wort und reagiert oft aggressiv. Nur zu Ulf fasst er Vertrauen, denn er kann sich sehr gut in Toms Lage versetzen – befand er sich doch selbst einmal in einer ähnlichen Situation.

Lange ist unklar, was für eine Geschichte Ingvar Ambjørnsen seinen Lesern erzählen will. Geht es um die Person Ulf und seine Erinnerungen? Viel von seinem alten Leben teilt er dem Leser nicht mit. Nur kleine Bruchstücke, die sich nicht zu einem Ganzen zusammen fügenlassen. Ausführlich sind dagegen die Erinnerungen an die Reise den Oridongo hinauf, entlang des Dschungels, wo Eingeborene leben und sich gelegentlich den Schiffern zeigen.

Eine Milieu-Studie der nordwestnorwegischen Inseln

„Den Oridongo hinauf“ kann auch als eine Milieu-Studie gelesen werden, für die Ingvar Ambjørnsen bekannt ist. Nüchtern und mit einfachen Worten beschreibt der Autor hier die Bewohner einer nordwestnorwegischen Insel. Ihre Eigenheiten und Verhaltensweisen kommen in Dialogen und der Beschreibung ihres Tuns zum Tragen. Ingvar Ambjørnsen verschwendet dafür keine Füllworte oder ausschweifende Darstellungen, was die Figuren dadurch authentischer und lebendiger macht. Der Bewohner Vaksøys erscheint in den Gedanken des Lesers, ohne dass dieser sich viel dazudenken muss. Genauso fängt der Autor Stimmungen auf der Insel und zwischen den Bewohnern ein; mit subtilen Mitteln, aber effektvoll.

Welche Rolle spielt dabei der Ich-Erzähler Ulf? Ingvar Ambjørnsen gab in einem Interview zu, ein unzuverlässiger Erzähler zu sein. Der Leser darf also nicht alles so wörtlich nehmen, wie es da steht. Ulf mag ambivalent beschrieben werden, allerdings ist er dies keineswegs. Die Leser haben Anteil an seinen Gedanken zu seinem Umfeld, seiner Beziehung zu Berit oder dem großen Brückenbau, der wieder Unmengen an Steuergeldern verschleudern wird, aber niemand sich traut, diesen Irrsinn auch zuzugeben. Ulfs Gedanken verwirren stellenweise. Er verbeißt sich förmlich in einen Sachverhalt, wägt alle Argumente gegeneinander ab, streitet mit sich selbst. Im Umgang mit seinen Mitmenschen zeigt sich immer wieder, dass es Ulf an sozialem Fingerspitzengefühl mangelt und zu einem schrulligen Verhalten neigt. Er ist gerne ein Einzelgänger.

Ein verkleideter Elling?

Spätestens hier rufen Elling-Fans laut: „Da ist er wieder!“ Wer die Elling-Reihe gelesen hat, dem fallen charakteristische Parallelen und viele Verhaltensmuster auf: Ulf benimmt sich wie Elling, aber ist er es auch wirklich? Nie erfahren die Leser in „Den Oridongo hinauf“ Ulf Vågsviks richtigen Namen, nur den Hinweis, dass er seinen alten abgelegt hat. Die Reiseberichte erinnern an Elling und Kjell Bjarnes erfundene Reiseberichte, die sich die beiden gegenseitig erzählt haben. Auch das Alter ist ein Hinweis. Ulf ist Mitte 50, ein Alter, in dem auch Elling jetzt nach dem letzten Roman der Reihe, „Lieb mich morgen“, sein könnte. Aber ist er es auch? Ingvar Ambjørnsen schwieg bisher dazu. Also kann der Leser für sich entscheiden. Für den Roman spielt es keine Rolle, ob das nun Elling ist oder nicht. Ingvar Ambjørnsen stellt eindeutig die Ereignisse auf Vaksøy und seine Bewohner in den Vordergrund. Deswegen können Leser dem Roman auch folgen, wenn sie die Elling-Reihe nicht kennen. Interessant ist außerdem zu sehen, wie der einzelgängerische Vågsvik versucht zu Tom vorzudringen. Er versteht den Jungen und warum er sich so verhält, sieht in ihm eine jüngere Version von sich. Und – so schaut es aus – er hat Erfolg mit seiner Methode.

Titelbild

Ingvar Ambjornsen: Den Oridongo hinauf. Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs.
Edition Nautilus, Hamburg 2012.
252 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783894017507

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