Ästhetik des Obskuren

Benjamin Maack wagt sich, die Irritation zum Erzählprinzip zu erklären

Von Juan SolRSS-Newsfeed neuer Artikel von Juan Sol

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Bäume. Sträucher. Ein Bach. Ein Himmel. Sonne. Bäume. Summen. Ein Weg. Ein Weg der gegangen werden muss. Es braucht nicht viel, um der Welt ihre Zusammenhänge wegzunehmen.“ Die Situation ist diffus, nur langsam ergeben sich Sinnzusammenhänge. Souverän irritiert Benjamin Maack in seinem zweiten Erzählband „Monster“ den Leser, indem er kunstvoll realistische und surrealistische Strukturen miteinander verwebt.

Die Sujets der sieben Erzählungen sind vielgestaltig. Der übergeordnete Fokus liegt bei allen jedoch auf den psychologischen Untiefen der Figuren. Heraussticht dabei die erste Erzählung „Viel schlimmer als die dunklen Räume sind die spiegelnden Fenster“, welche beinahe die Hälfte des Bandes ausmacht. Der arbeitslos gewordene Chemielaborant Benjamin besucht eine alte Freundin, die mit ihrem schwerbehinderten Freund in einer einsamen Hütte lebt. Das Szenario entwickelt sich zu einem obskuren Kammerspiel, welches durch Erkundungstouren Benjamins im Wald immer wieder aufgebrochen wird. Es ist nicht klar, warum er diese Erkundungen unternimmt, warum er überhaupt zu dieser Freundin gefahren ist. Die Leerstellen besetzt der Leser.

Die Gegenden scheinen bedrohlich, die Figuren in ihnen fragil und fast ständig dem Tod ausgesetzt. Der obskure Raum, der sich dabei um die Figuren formiert, verändert sich ständig und entzieht sich somit einer eindeutigen Wahrnehmung. Diese spürbare Unsicherheit lässt situative Spannungsmomente entstehen, wie man sie nur von E. A. Poe kennt. Mit einer fantastischen Souveränität führt Maack den Leser durch vertraute Räume: Ein dunkler Keller, ein düsterer Wald, ein fremdes Dorf. Vor diesen etablierten Folien inszeniert er seine Figuren. „Es ist nur ein kindischer Kellerhorror“, heißt es dort, ein Satz, der fast poetologisch daherkommt. Und in diesen konfuse Wechselwirkungen zwischen Raum und Figur, welche es zu dechiffrieren gilt, liegt größte Qualität des Bandes.

Denn die vermeintliche Bedrohlichkeit, das Obskure der Umgebung speist sich allein aus der verzerrten Wahrnehmung der Figuren. Sie statten den Raum erst mit Attributen wie „gefährlich“ aus. So stellt sich ein zunächst unheimliches Berg- und Waldareal als der Harz heraus und auf einen Schlag kippen die schauerhaften Zuschreibungen der Gegend ins Absurde. Die Figuren werden als unzuverlässige Erzähler entlarvt, ihre Angst als Hysterie. Maack setzt hier brillante Kontraste. Einmal watet Benjamin durch einen Sumpf, droht qualvoll zu versinken und stellt sich bereits darauf ein, jetzt sterben zu müssen, als ein paar Jugendliche vorbeikommen und fragen „Was macht denn der Idiot da?“ Und alles ist hell, als hätte jemand das Licht angeschaltet.

Immer wieder bemühen sich die Figuren, in Situationen der Angst die Ruhe zu bewahren. Als Benjamin nachts Geräusche hört, versucht er krampfhaft einen nüchternen Blick zu behalten: „Das Gebälk arbeitet. Das ist sehr gut. Eine professionelle Formulierung. Eine gute, erwachsenen Begründung.“ Inventarisch versuchen die Figuren die Fakten zu erfassen, erzählen sich den status quo, um nicht verrückt zu werden.

Bedauerlicherweise geht Maacks Spiel mit der Irritation lediglich in der ersten Erzählung auf. Diese schafft es, einen unglaublichen Sog zu entwickeln, den die anderen Texte kaum zu entwickeln vermögen. Eine Ästhetik des Obskuren gelingt Maack in den folgenden sechs Erzählungen nicht annähernd so elegant. Es entsteht nicht die nötige Distanz vom Leser zu den Figuren, um das sehr fragile Faszinosum der Skurrilität und seine Wirkungskraft aufrechtzuerhalten. In der Folge wirken die Figuren überzeichnet und eine anregende Irritation bleibt so aus. Was bleibt, ist ein abwechslungsreicher Erzählband, der es, wagt die Irritation des Lesers zum Erzählprinzip zu erklären, und immer dann am besten ist, wenn er nicht vom Kurs abweicht.

Titelbild

Benjamin Maack: Monster.
Mit Download-Code für das eBook.
Mairisch Verlag, Hamburg 2012.
189 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783938539217

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