Eine Leiche im Keller

Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf versucht in seiner Studie „Papst & Teufel“, die Geheimnisse der vatikanischen Archive zum „Dritten Reich“ zu entschlüsseln

Von Michael EschmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Eschmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich zu Anfang erfährt man: „Wer das Empfehlungsschreiben einer Universität oder einer anderen Forschungseinrichtung in der Tasche hat, wer Erfahrungen mit der Recherche in großen Archiven vorweisen kann, wer gute Erkenntnisse in Latein und Italienisch hat und im Entziffern alter Handschriften geübt ist, bekommt uneingeschränkten Zutritt [in die Archive]. […] Der Ausdruck ‚geheim‘ ist vielmehr im Sinne von ‚privat‘ zu verstehen“.

Das Buch gliedert sich in fünf große Hauptabschnitte: 1. Das Böse neutralisieren? Vatikanische Diagnosen und Rezepte für Deutschland (1917-1929). 2. Perfide Juden? Streit im Vatikan über den Antisemitismus (1928). 3. Der Pakt mit dem Teufel? Das Reichskonkordat und seine Vorgeschichte (1930-1933). 4. Molto Delicato? Die römische Kurie und die Judenverfolgung (1933-1939). 5. Dogma oder Diplomatie? Katholische Weltanschauung und NS-Ideologie (1933-1939).

Der Leser wird gefordert: Einmal durch die ungemein spannende Anhäufung historischer Fakten zu einem heiklen Kapitel deutscher Geschichte. Zum anderen aber auch durch fundierte, notwendige Vorkenntnisse in der katholischen Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts und zugleich in der Entwicklung der NSDAP-Ideologie in ihrem Verhältnis zur christlichen Religion. Ohne diese kann man die Texte nur schwer verstehen. Vieles ist derart komplex verknüpft, dass eine Lektüre ohne jegliche Vorabinformationen kaum lohnend sein wird. Der Erzählstil des Autors ist (fast) durchgehend flüssig und angenehm, sieht man von kleinen „Ausfällen“ wie dem folgenden ab: “Der vom Kardinalstaatssekretär unterzeichneten Generalinstruktion als Bestandsaufnahme und Aufgabenkatalog zu Beginn einer Nuntiatur entspricht die sogenannte Schlußrelation an deren Ende“.

Wie ein „roter“ Faden zieht sich durch das gesamte Buch die Erkenntnis, dass die katholische Kirche ein totalitäres Denksystem ist, das den Gläubigen nur wenig Spielraum für eigene Gedanken lässt. Von der Wiege bis zur Bahre, stets wird reguliert und gefordert, was „gut“ beziehungsweise. „schlecht“ sei und dies stets im Hinblick auf das ewige Seelenheil. Kein Gebiet wird vergessen oder gar ausgelassen, von der Sexualität bis hin zur Verhütung, von der Taufe bis hin zu den Sterbenssakramenten – die katholische Kirche ist überall und allmächtig. Brisant wird diese Allmacht, wenn sie gar noch politischen Hintergrund erfährt. Und genau dies ist geschehen. Im Kampf gegen das „Böse“ gemeint sind vor allem die (gottlosen) Kommunisten agierte der Katholizismus auch auf politischem Parkett. Als Staat (Vatikan) unterhielt der Papst eine (zweite) zusätzliche Souveränität mit der Möglichkeit von diplomatischen Beziehungen. Mit unterschiedlichem Erfolg: Stalin lehnte ab, Hitler nahm an. Ein Pakt mit dem „Teufel“ wurde gesucht, nicht (nur) um Leben zu retten, sondern um als „Idee“ zu überleben. „Tatsächlich blieb die katholische Kirche die einzige Institution im ‚Dritten Reich‘, die sich der Gleichschaltung weitgehend erfolgreich entziehen und eine Eigenständigkeit ihrer Liturgie und Verkündigung erhalten konnte“.

Zwei Kapitel verdienen besondere Beachtung: 1. Der Abschnitt über die katholische Zentrumspartei. Eine Partei, die übrigens heute noch im „Miniaturformat“ existiert. Ihre tragische und tragende Rolle bestand darin, dass sie Adolf Hitler auf demokratischem Weg half, das „Ermächtigungsgesetz“ zu verwirklichen. 2. Das Kapitel über den „Index Romanus“, einem Verzeichnis sämtlicher auf dem römischen Index stehenden Bücher, deren ein „frommer“ Katholik nicht habhaft werden durfte, ohne Gefahr zu laufen, durch die „verbotene“ Lektüre seelischen Schaden zu nehmen. Ausführlich wird erklärt, warum Adolf Hitlers „Mein Kampf“ nicht indiziert wurde. Der Rezensent wird sich hüten, dieses „Geheimnis“ nun vorweg zu verraten. Das Buch ist alleine aus diesem Grund lesenswert.

Man erfährt ungemein viel Neues über die Verbindungen zwischen dem Vatikan und dem „Dritten Reich“. Jedoch bleibt vieles auch noch unklar. „Eine Geschichte des Verhältnisses zwischen dem Vatikan und Deutschland in der Zeit von 1917 bis 1945, die alle Aspekte berücksichtigt, lässt sich auf der Basis der zugänglichen Quellen und der bislang vorliegenden Forschungsliteratur jedoch nicht schreiben“. Wann Rom die Akten zum entscheidenden Papst, Pius XII. ( „Der schweigende Papst“), freigibt, ist ungewiss. So bleibt die (endgültige) Wahrheit auch weiterhin (noch) im „Dunkeln“ verborgen.

Titelbild

Hubert Wolf: Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
360 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783406630903

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