Repräsentation

Die Fotografie ist zur wichtigsten Repräsentationskunst der Gegenwart geworden. Einer ihrer wichtigsten Künstler ist Thomas Struth, wie eine jüngst erschienene Werkschau demonstriert

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im September 2011 erschien im „New Yorker“ eine Reportage über den deutschen Fotografen Thomas Struth, als deren Verfasserin Janet Malcolm zeichnete. Untertitelt war die Reportage mit „Thomas Struth’s way of seeing“, Aufmacher jedoch waren nicht jene Werke der 1970er-Jahre, in denen Struth die Wirklichkeit moderner Städte – wenn auch in ihrer menschenleeren Fassung – dargestellt hatte. Aufmacher war ein Porträt, das Struth im April des Jahres von Queen Elisabeth II. und ihrem Gemahl dem Duke of Edinburgh aufgenommen hatte. Die Fotografie ist auch im Illustriertendruck beeindruckend. Die Queen steht ranggemäß auch visuell im Vordergrund. Ihr metallisch hellblaues Kleid erleuchtet sie, zumal auf dem grünen Grund des Sofas, auf dem sie und der dunkel gekleidete Duke of Edinburgh sitzen, und vor dem dunklen, braun getönten Hintergrund des Zimmers in Windsor Castle, in dem die Aufnahme gemacht worden ist.

Als er den Auftrag angenommen habe, so Struth, sei dies nicht zuletzt aus dem Grund geschehen, der Frage nachzugehen, ob es ihm gelingen werde, etwas Neues zu Menschen wie diesen zu sagen, was naheliegend die Erwartungen heftig nach oben treibt. Die Reportage schildert minutiös die aufwendigen Vorbereitungen zu dieser Aufnahme, die Wahl von Hintergrund, Position, Anordnung und Kleidung, zudem die Wahl des Lichts sind für Porträtfotografen immer zentrale Punkte, die sorgfältig abgearbeitet werden müssen, damit am Ende das Resultat stimmt.

Dass es stimmt, wird man Thomas Struth nicht absprechen können. Gegen die Tendenz des Unprätentiösen der neueren Fotografie setzt er bewusst auf die Inszenierung, auf eine altmodisch erscheinende Form der Darstellung, die jedoch den Position dieser Fotografie im Wertekanon der Künste allzu deutlich markiert: Sie ist die Repräsentationskunst unserer Gegenwart. Was Malerei nicht mehr leistet und andere Kunstformen nie leisten wollten, wird von der Fotografie – nebenher – gleich miterledigt.

Fotografie ist damit in der Lage, eine Tradition fortzusetzen, die spätestens im europäischen Mittelalter begann und in deren Fokus die repräsentative Schau auf die Mächtigen dieses Erdkreises stand, die bei dieser Gelegenheit gleich zurück blickten. Struth knüpft an dieses Erbe an und füllt es vollkommen aus – ohne jede subversive Note, ohne jede Kritik, die nicht aus dem Sujet selbst entspringen würde.

Das Porträt der englischen Königin und ihres Mannes steht dabei nicht allein. Auch wenn es in der 2010 bereits erschienenen Werkschau des Fotografen naheliegenderweise nicht enthalten ist, reiht sich diese Fotografie nahtlos in eine Reihe von Aufnahmen ein, die Struth seit den 1980er-Jahren bis in die jüngste Gegenwart inszeniert hat. ‚Familienporträt‘ sind sie zum Teil benannt, teilweise sind sie unbetitelt geblieben. Sie zeigen bekannte und unbekannte Familien und sie präsentieren damit einen Habitus, der deutlich seine Distanz zum Getriebe des jeweiligen Umfelds zeigt. Es sind – wenigstens im Moment dieser Aufnahmen – Fürsten dieser Welt, die von ihrer Macht und ihrem Ruhm wissen und ihn mit gutem Gewissen vor sich hertragen.

Die klaren Formen und das präzise geführte Tonalität dieser Aufnahmen steht in einem engen Zusammenhang mit einem Werkkomplex, mit dem Struth in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und mit dem der vorliegende Band vor allem bekannt gemacht wurde und Aufsehen erregte: Struth hat in den vergangenen Jahren verstärkt technische Fotografien produziert, die Details und Gesamtansichten avancierter industrieller und wissenschaftlicher Projekte zeigten.

Ob nun groß angelegte Stadtansichten in den neuen Megacities Asiens oder Aufnahmen aus den Docks des koreanischen Werftkonzerns DSME, ob Aufnahmen aus einem Teilchenbeschleuniger in Garching oder Fotografien des Spaceshuttles: Struth hat sich auf die technischen, industriellen und urbanen Großprojekte unserer Gegenwart geworfen und für sie eine eigene Bildsprache entworfen. Und auch sie ist repräsentativ.

Größe ist dabei nicht allein entscheidend, vor allem die Distanz zum Gegenstand – trotz aller Nähe –, die auch diese Fotos kennzeichnet, verweist sie in ein künstlerisches Areal, das lange vergangen schien. Dabei ist nicht die Repräsentation selbst problematisch. Wenn sich eine Gesellschaft zeigen will, sollte dies auch jeden einzelnen ihrer Mitglieder berühren. Es ist vor allem die Ehrfurcht vor dem, was hier gezeigt wird, die diese Fotos problematisch macht.

Technisch gesehen scheint sich Struth dabei an die neusachliche Fotografie der 1920er-Jahre anzulehnen, so stark stehen Strukturen und Dimensionen im Vordergrund. Aber im Unterschied zu den oft tastenden Suchbewegungen der damaligen Fotografen ist sich Struth dessen, was er da tut, wohl sehr bewusst. Und er betont nicht die Dynamik, sondern die Festigkeit von Strukturen, ihre Macht und ihre Dauer.

Dass dies bereits früh im Werk Struths angelegt ist, zeigt dieser Band, der bis auf die 1970er-Jahre zurückgeht. Beinahe ikonografischen Charakter haben jene Aufnahmen von Düsseldorfer und New Yorker Straßen, die hier nebeneinander gestellt werden. Wer hier Kritik sehen will, wie dies die Autoren der Werkessays tun, die dem Band beigegeben sind, übersieht die Erstarrung des Sehenden und damit des Fotografen selbst. Wenn diese Fotografien die Macht des Systems zeigen, dann zeigen sie eben auch die Ohnmacht dessen, der auf dieses System blickt. Der Fotograf wird damit zum hilflosen Medium von Macht, trotz allen Aufwands, den er mit seinen Aufnahmen betreibt und trotz des Ansehens, das er genießt.

Titelbild

Armin Zweite / Thomas Struth: Thomas Struth. Fotografien 1978 - 2010.
Katalogbuch zur Ausstellung in Zürich, Düsseldorf, Porto und London.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2010.
248 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783829604635

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