Mit- und andere Räume

Hamid Tafazoli und Richard T. Gray haben einen Sammelband über „Heterotopien in Kultur und Gesellschaft“ herausgegeben.

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ablehnung von – Jaques Derrida zufolge notwendig hierarchisch organisierten – binären Ordnungsschemata und -prinzipien gehört seit Luce Irigaray zu den grundlegenden Kritikpunkten des psychoanalytischen wie auch des dekonstruktiven Feminismus. Moniert werden binäre respektive dichotome Denkmustern allerdings auch von anderer Seite. So etwa jüngst in einem von Hamid Tafazoli und Richard T. Gray herausgegeben Sammelband mit dem Titel „Außenraum – Mitraum – Innenraum“.

In der Einleitung fragen die Herausgeber nicht nur nach den „Spielregeln der reziproken Definition des Eigenen und des Fremden“, sondern ziehen ganz prinzipiell in Zweifel, „ob es einen Sinn ergibt, überhaupt von schlicht Fremdem zu sprechen.“ Ebenfalls in der Einleitung entwickeln die Herausgeber unter ausführlichem Rekurs auf Michel Foucault, der den Neologismus Mitte der 1960er-Jahre prägte, ihr Heterotopie-Verständnis. Nicht minder prominent ist Helmut Willke vertreten, der eine „Atopie-Trilogie“ konzipierte, deren Momente er unter die Begriffe Atopia, Dystopia und Heterotopia subsumierte. Letzterer bezieht sich auf die „Auflösung von Ordnung“ und die aus ihr resultierende „Verunsicherung“. „Wirksam“ werden Heterotopien diesem Theorem gemäß, „wenn Homogenität in Macht, Wirtschaft und Wissen die Fassungskraft der überkommenen Ordnungen so überfordert, dass sich jede komplexe Ordnung zu ihrem eigenen Bestehen notwendig mit Komponenten der Unordnung anreichern muss.“

Anliegen des auf eine im Herbst 2009 am „Department of German“ der University of Wisconsin veranstaltete Tagung zurückgehenden Bandes ist es nun zu erörtern, welche Rolle der Begriff der Heterotopie bei dem diese Fragen betreffenden „erforderlichen Denkwandel“ zukommen kann. Da sich das zugrundeliegende Heterotopie-Verständnis nicht an Dichotomien als Gegebenheiten orientiert, sondern an ihren Interaktionen an einem anderen Ort, den wir als Handlungs- und Wirkungsraum verstehen“, ermögliche es „die Aufhebung von Dichotomiemustern“, lautet die Ausgangsthese der Beitragenden. Sie bildet zugleich das einheitsstiftende Moment der teils in deutscher, teils in englischer Sprache verfassten Aufsätz, die sich mit Filmen und literarischen Werken, „als ästhetischen Orten zur Beschreibung der Andersartigkeit“ befassen.

Beide Herausgeber sind neben der gemeinsam verfassten Einleitung jeweils mit einem weiteren Beitrag vertreten. Tafazoli befasst sich mit „Heterotopie als Entwurf politischer Raumgestaltung“, während Grays Aufsatz unter dem Titel „Illusion and the Theatre of Narrative in Kafka`s Ein Bericht für eine Akademie“ steht. Birgit Tautz organisiert hingegen eine theoretisch-literarische Begegnung zwischen Foucault und Yoko Tawada, anhand derer sie die These zu plausibilisieren versucht, dass Tawada „Foucaults Denken weiterführt“, indem sie es „in seiner Gebundenheit an die westeuropäische Wissenschaftstradition bloßstellt.“ Todd Kontje besucht die „Heterotopic Citys in Yadé Kontjes Fiction“, Heidi Schlipphacke interessiert sich für „Intimacy and the Global in Tom Tykwer’s ‚The International‘ und Christine Kanz folgt den Schriftstellerinnen Lou Andreas-Salomé und Else Lasker-Schüler nach Sankt Petersburg respektive Jerusalem, um die beiden (literarisierten) Städte als Gegenräume ästhetischer Kreativität“ zu untersuchen.

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Hamid Tafazoli (Hg.) / Richard T. Gray: Außenraum - Mitraum - Innenraum. Heterotopien in Kultur und Gesellschaft.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2012.
194 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783895288913

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