Ein kolossaler Korb voll Kirschen

Günther Anders erinnert sich an Gespräche mit Hannah Arendt

Von Esther SchröterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Esther Schröter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Hannah Arendt im Dezember 1975 stirbt, beginnt Günther Anders, in Erinnerung an die glückliche Zeit des Zusammenlebens, seine Notizen aus den Ehejahren (1929-1937) durchzusehen. Im Gedenken an seine erste Frau und an gemeinsame philosophische Gespräche, wird Sie nunmehr zur ersten und einzigen Liebe seines Lebens verklärt. „Ihr grünäugiger Ghettoblick der Verwunderung“, heißt es, gelte auch ihm, „dem Dolmetsch“.

Anders, 1902 als Günther Sigmund Stern und Kind deutsch-jüdischer Eltern geboren, trifft nach seiner Promotion 1924 in Marburg ein, um genauso wie die vier Jahre jüngere Studentin Hannah Arendt die Lehrveranstaltungen Martin Heideggers zu hören. Die Studentin, in ihren Professor verliebt, hat anfangs keine Augen für den jungen Herrn Doktor.

Fünf Jahre später, auf einem Maskenball in Berlin: Man trifft sich unverhofft wieder und heiratet sogar kurz darauf. „Gewonnen habe ich Hannah auf dem Ball mit der im Tanzen gemachten Bemerkung, daß Lieben derjenige Akt sei, durch den man etwas Aposteriorisches: den zufällig getroffenen Anderen, in ein Apriori des eigenen Lebens verwandle. – Bestätigt hat sich diese schöne Formel freilich nicht“, erinnert sich Anders.

Die Eheschließung verläuft eher formell, in Abwesenheit beiderseits verwunderter Eltern. Erst lebt man in Berlin, dann in Heidelberg, wo Arendt bei Karl Jaspers promoviert. Aus Frankfurt, wo die Habilitation von Anders maßgeblich durch Adorno abgelehnt wird, kehrt man nach Berlin zurück.

Das „Bild einer innigen Lebens- und Denkgemeinschaft“, das Anders später fixiert, verliert sich in den Arendt’schen Worten „die junge Braut geht leidenschaftslos in die Ehe“ (Brief an Heidegger) oder denen von Anders, „Ich kann meinen Mann nicht riechen. Doch die Wände sind naß, und der Fußboden kalt. Da muß man zusammenkriechen. Und da ergibt es sich halt“ (1932). So wird die Ehe der beiden Intellektuellen denn auch als Kompromiss beziehungsweise Kompensation Arendts nach der Trennung von Heidegger verstanden.

Die erinnerten Dialoge entstammen der ersten glücklichen Zeit des Zusammenlebens, wo mitsamt eines prall gefüllten Kirschenkorbs philosophiert wurde. „Unsere Münder und Hände waren dunkelrot verschmiert […] was uns […] nicht daran hinderte, miteinander aufs intensivste unserer selten unterbrochenen Alltags- und Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, nämlich zu symphilosophein.“

Nach dem Reichstagsbrand 1933 flieht Anders ins Pariser Exil. Seine Frau bleibt vorerst in Berlin zurück, wo sie im Auftrag von Kurt Blumenfeld und für die Zionistische Gemeinschaft nach antisemitischen Äußerungen in der Tagespresse sucht. Nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo ist sie ebenfalls gezwungen, Berlin zu verlassen. Über Prag gelangt auch sie nach Paris.

Von der universitären Wissenschaft enttäuscht, lebt Anders weiterhin von journalistischen und philosophischen Arbeiten und bemüht sich in Paris um die Veröffentlichung seines ersten Romans. Seine Frau arbeitet dort für eine zionistische Flüchtlingsorganisation, schreibt unter anderem für die jüdische Zeitschrift „Aufbau“ und trifft auf ihren späteren Ehemann Heinrich Blücher. Die Lebensumstände, das politische Klima, schließlich das Exil verbinden und trennen. Die Ehe zwischen Anders und Arendt, die nur noch formal besteht, wird 1937 geschieden.

Geografisch trennen sich ihre Wege nicht, auf Paris folgt für beide New York. Trotzdem hat man nicht mehr viel miteinander zu tun. Der Briefwechsel legt nahe, dass sich Arendt von Anders distanzierte. Und erst nach dem Tod Blüchers 1970 wurde der Kontakt wieder intensiver, die Vergangenheit diente als Bindeglied.

Im Gegensatz zu Hannah Arendt ist es Günther Anders nie gelungen, in Amerika Fuß zu fassen. Er ging 12 Jahre später zurück, nach Wien, machte sich als Publizist einen Namen und wurde zu einem wichtigen Vertreter der Anti-Atom-Bewegung. Arendt hingegen war von Anfang an gut in New York integriert und avancierte mit „The Origins of Totalitarianism“ („Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“) gleichermaßen zu einer wichtigen zeitgenössischen Autorin.

Die „Kirschenschlacht“, eine Sammlung von Erinnerungen, liegen nun zum ersten Mal in gedruckter Form vor. Anders, kurz zuvor von seiner dritten Frau verlassen, empfindet den Tod seiner ersten Ehefrau im selben Jahr als einen unerträglichen Rückschlag. „Indem er innerlich, aber auch brieflich die Tote zur ersten und einzigen Liebe seines Lebens verklärte, hatte er die nunmehr Fernlebende unversehens gefühlsmäßig abgewertet und war dadurch imstande, diese Kränkung zu überwinden.“

Zu Beginn des Dialogs „Monaden“ bemerkt Anders: „Da ich, wie in allen meinen philosophischen Dialogen – I can’t help that – recht behalte, ist der Text zugestandenermaßen furchtbar unfair.“

Anders selbst hat „nichts dazu beigetragen, das verzerrte Bild zu korrigieren.“ Die anschließende Editorische Notiz und der Essay „Günther Anders und Hannah Arendt eine Beziehungskiste“ helfen, vieles klarzustellen. „Die Kirschenschlacht. Dialoge mit Hannah Arendt“ bringt einen wichtigen Wegbegleiter für Arendt ins Spiel, wobei „direkte Bezüge kaum auszumachen“ sind. Und doch handelte es sich um eine Denkgemeinschaft, vielleicht auch über das Eheleben hinaus, der es, wie der Denkgemeinschaft mit Walter Benjamin, Karl Jaspers oder Søren Kierkegaard nachzugehen lohnt, um einen philosophischen und literarischen Diskurs nachzuvollziehen und fruchtbar zu machen.

Titelbild

Günther Anders: Die Kirschenschlacht. Dialoge mit Hannah Arendt.
Mit einem Essay von Christian Dries, Hrsg. von Gerhard Oberschlick.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
143 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783406632785

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