Die Normalität des Bösen

Donald Ray Pollock macht in „Das Handwerk des Teufels“ kein großes Geschrei um Gewalt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von den abgelegenen, weiten Landschaften Nordamerikas geht ein gelinder Schrecken aus. Hier finden sich Enklaven eines gesellschaftlichen Lebens, das nur bedingt an so etwas wie Zivilisation erinnert. Hier finden sich blutige Anrufungen des Herrn ebenso wie der Missbrauch junger Frauen in seinem Namen, hier finden sich die gelangweilten Serienmörder mit künstlerischen Ambitionen wie die ehrgeizigen Sheriffs, die sich als kaltherzige Exekuteure der örtlichen Halbwelt verdingen. Hier ist niemand am Recht interessiert, nicht einmal Rache spielt hier eine Rolle – Gewalt ist einfach nur da, und damit hat es sich.

Und auch wenn das alles in einer lang vergangenen Zeit geschieht – zu den 1950er– und 1960er–Jahren sind wir ein halbes Leben, ein halbes Jahrhundert mittlerweile auf Distanz, solche Ereignisse und ein solches Leben haben eine Unmittelbarkeit, die seltsam berührt.

Nun ist eine solche Szenerie nichts Ungewöhnliches im amerikanischen Kriminalroman, der eben eine starke Spannung und große Widersprüche zwischen den großstädtischen Szenerien, den kleinstädtisch geprägten Vorstädten und den extremen ländlichen Arealen aufbauen kann. Dies ist ein Land der Extreme, in der Realität ebenso wie in seinen zahlreichen fiktionalen Bilderwerken. Der Blick auf dieses Land ist geprägt von diesen Widersprüchen und Spannungen, von einer unerhörten Faszination und einem nicht minder starken Widerwillen.

Das geht uns amerikanisierten Europäern seit den seligen Zeiten des späten 19. Jahrhunderts so, und ob Amerikanismus oder Antiamerikanismus irgendetwas über uns aussagen, wird wohl eine unendliche Debatte bleiben. Das jedoch lässt den Gedanken zu, die Bilderteppiche, die unser fiktives Amerika bilden, als Gegenwart zu einer unerkennbaren Realität zu nehmen, als zwar aufschlussreiche, aber vor allem für sich selbst stehende Imaginationen. Gutes Amerika? Schlechtes Amerika? Wer wird das am Ende entscheiden wollen? Von allen weltpolitischen Zerwürfnissen einmal abgesehen.

Donald Ray Pollock kann uns dabei ein wenig zur Seite stehen, gerade weil seine Erzählung des urwüchsigen Amerika zwar alles bietet, was eine moralische, eine allegorische Erzählung zu bieten hat. Dennoch zwingt er niemanden dazu, sich dieses Hebels zu bedienen, um irgendetwas über „den“ Menschen oder über „Amerika“ aussagen zu wollen. Dass er damit über eines der wichtigsten Elemente des Krimigenres hinweggeht, sei dabei nicht verschwiegen. Der Krimi ist eine moralische Erzählung, eine Allegorie auf gesellschaftliches Leben, und sei es, weil er gegen alles, was Recht und Gesetz ist, bereitwillig verstößt.

Dass Pollock das zwar nicht verweigert, aber auch nicht zwingend nahe legt, hat etwas mit der Haltung zu tun, die er zur Gewalt in ihrer deutlichsten Form, dem Mord, einnimmt.

Ein junger Mann kehrt aus dem Krieg nach Hause zurück, trennt sich von seinem Elternhaus und heiratet eine Serviererin, die er auf dem Heimweg kennengelernt hat. Die Heimat verlassen, ist das Eine, woanders anzukommen, etwas Anderes – denn diese Frau stirbt elend, und weil dies der Mann nicht akzeptieren kann, nehmen seine Gebete eine immer größere Intensität an, er baut mit seinem Sohn einen Gebetsbaum und tötet dafür Tiere, die er dort verwesen lässt. Ein archaisch anmutendes Ritual, das allerdings mit Archaik nichts zu tun hat. Der Sohn wird später ein Serienkillerpärchen und einen Polizisten erschießen und davon kommen.

Die junge Frau, die für den Kriegsheimkehrer als Gattin vorgesehen war, heiratet stattdessen einen Prediger, der vor allem mit einer Spinnenperformance von sich reden macht. Der Mann ist kein Betrüger, sondern von seiner Sendung überzeugt, nicht minder wie sein Gefährte, ein mittlerweile gelähmter Gitarrenspieler, der mit dem Prediger herumzieht. Das Sendungsbewusstsein des Predigers wird derart stark, dass er irgendwann einmal sogar der Meinung ist, dass er Tote wieder zum Leben erwecken kann. Sein Begleiter will jedoch den Testlauf mit einer Katze nicht akzeptieren, weshalb der Prediger schließlich seine Frau mit einem Schraubenzieher ersticht. Die Erweckung misslingt überraschenderweise, die beiden Männer fliehen.

Die Schwester des Sheriffs war als Teenager anscheinend sehr zurückhaltend, was dazu führt, dass der Bruder sie aus der Schule nimmt, sie in eine Bar steckt und sie dort unter die Männer gerät. Sie kleidet sich nuttig, schläft, wenn das Geld fehlt, mit den Gästen und liiert sich mit einem verkrachten fetten Fotografen. Die beiden ziehen nach einer Weile los und töten nach und nach ein gutes Dutzend Tramper, deren Leichen der Mann in den Armen der unbekleideten Frau fotografiert. Die Fotos sammelt er in einer Kiste unter dem Bett.

Pollock erzählt jede dieser Geschichten sehr nachdrücklich und sehr unaufgeregt. Er verbindet sie an einzelnen Punkten, ohne dabei irgendetwas wie eine Lehre nahezulegen. Die Gewalt ist gegenwärtig, normal und unspektakulär. Nicht das Leiden der Opfer, sondern die monströse Armut der Täter steht im Vordergrund. Aber selbst die ist weder sozialkritisch attackiert noch sozialromantisch idealisiert, sie ist vor allem einfach nur vorhanden. Eine sehr seelenlose Welt, eine sehr nichtmoralische Welt, möglicherweise muss man es dabei auch einfach belassen.

Titelbild

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2012.
303 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783935890854

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch