Dichten und Dienen

Heimo Schwilk über das Leben Hermann Hesse

Von Andreas SolbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Solbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist Hesse-Jahr: 2012 jährt sich der Todestag des Dichters zum fünfzigsten Mal, und man könnte seinen 135. Geburtstag feiern. Und wie nicht anders zu erwarten führt das Doppeljubiläum zu allerlei Festlichkeiten. Die Düsseldorfer Literaturwissenschaftlerin Henriette Herwig hat dem Autor in seiner schweizerischen Wahlheimat eine eindrucksvolle wissenschaftliche Tagung gewidmet, bei der auch Hesse als Künstler gewürdigt wurde, der Suhrkamp Verlag hat seinen bunten Blumenstrauß aus Hesse-Texten um einige Titel erweitert, und die Leser dürfen sich an neuen Auskünften zum Leben und Werk des Autors erfreuen.

Doch gibt es wirklich Neues zu berichten? Eigentlich nicht, denn die vor einigen Jahren von Volker Michels fertiggestellte Werkausgabe hat zwar quantitativ vor allem unsere Kenntnis des literaturkritischen Werks bereichert, aber kaum nennenswerte Veränderungen in inhaltlicher Sicht nötig gemacht. Allenfalls der bekannt gewordene Briefwechsel mit seinem Psychoanalytiker Joset Bernhard Lang, herausgegeben von Thomas Feitknecht, zeigt uns eine weitere, aber nicht radikal neue Facette der Autorpersönlichkeit. Es ist paradox, dass zu Hesse, der wohl von der professionellen Germanistik meistgeschmähte Autor, der auch in der feuilletonistischen Literaturkritik gerne abgewatscht wird, so viele Biografien vorliegen. Während Klassiker wie Friedrich Hebbel oder Franz Grillparzer überhaupt keinen modernen Biografen gefunden haben, besitzen wir zahlreiche jüngere Hesse-Biografien. Brauchen wir wirklich noch eine neue Lebenserzählung?

Für den literaturwissenschaftlich Interessierten wird die umfangreiche Arbeit von Freedman am passendsten sein, auch wenn sie mittlerweile weitgehend überholt ist. Doch hat es Heimo Schwilk nicht darauf abgesehen, eine große, repräsentative „Leben und Werk“-Darstellung vorzulegen wie etwas Hugh Barr Nisbets „Lessing“. Ihm geht es nicht darum, den Stand der Forschung vor dem Hintergrund des Lebens in einer Reihe von Textinterpretationen aufzurollen, sondern hier steht das „Leben des Glasperlenspielers“ im Fokus. Natürlich blendet Schwilk Hesses Werke nicht aus, aber sie dominieren nicht die Lebenserzählung, die sonst schnell zum Stichwortgeber für Textanalysen wird. Schwilk geht es um etwas anderes: Er möchte Hesse aus den bekannten Stereotypen befreien und ihn stärker aus sich selbst verstehen; nicht also die Vorstellung des Autors als friedensbewegter Hippie oder als Propagator rücksichtsloser Selbstverwirklichung interessiert ihn, sondern ein in historischer Perspektive komplex kontextualisierter Dichter, der durch seine regionale und familiäre Sozialisation zutiefst geprägt ist. Schwilk zeigt uns keinen neuen, keinen spektakulären oder aufrührerischen Poeten, sondern einen guten Bekannten, einen unruhig strebenden, bis zur Aufsässigkeit gegen taube Zwänge kritisch prüfenden Zeitgenossen, der aber insgesamt ein konservativer Liberaler ist.

Hesse hat seine Werke gänzlich aus der Erfahrung des familiären, schwäbischen Pietismus und der großen Tradition der deutschen Kulturgeschichte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts erarbeitet. Auf dieser Grundlage entstehen seine prägenden inneren Lebensaufgaben, die Schwilk in den Vordergrund stellt: Dichten und Dienen. Das Ziel der Selbstverwirklichung wird angebunden an den Gedanken des Dienens an sich selbst, der in die Konstitution der Gemeinschaft eingebunden bleibt. Hesse und seine Helden lehnen ja die Gemeinschaft nicht ab, sie geißeln ihre Unmenschlichkeit und Schwächen, gleichzeitig aber sehnen sie sich nach ihr. Die Überwindung der Entfremdung und der Gegensätze jedoch kann nur als Arbeit an der eigenen Individualität beginnen; zuerst ist der eigene Geist zu erobern und zu festigen, bevor die größere Aufgabe der Verteidigung des Geistes gegen die Barbarei begonnen werden kann. Dieser Dienst am Geist als Eigensinn des Lebens steht in Schwilks Biographie im Zentrum der Betrachtung.

So wird uns ein unangepasster Konservativer vorgestellt, der aber nichts Altbackenes oder Großväterliches hat, sondern durch seine sehr moderne Problempersönlichkeit gegenwärtig scheint. Hesses unglückliche Partnerschaftsverhältnisse, die allesamt daran scheitern, dass der Autor sich über die Möglichkeiten eines Zusammenlebens mit sich täuscht, weil er zumindest anfangs seine Einsamkeitsbedürfnisse unterschätzt oder sie, wie in der unsinnigen Ehe mit Ruth Wenger, sehenden Auges missachtet. Die zahlreichen Widersprüchlichkeiten und komplexen Lebensverhältnisse werden von Schwilk mit großer Sympathie und profunder Kenntnis vorgetragen, ohne dass er sich zum Hagiographen des Autors macht oder ihn von oben herab kritisiert. Hesse wird in dieser Biographie als Mensch und Autor fassbar und verständlich, ohne dass die Dimension der Werkinterpretation die Darstellung dominiert. Eine Hesse-Biographie für Hesse-Leser, die den Autor ernst nimmt und ihn in seiner menschlichen und künstlerischen Widersprüchlichkeit als Einheit beschreibt.

Sicherlich auch ein Hesse-Bild, das die beständigen und konservativen Züge des Autors betont, nachdem lange ein anderes, pazifistisch und hedonistisch getöntes Bild im Vordergrund gestanden hat. Schwilk rückt die Perspektive hier wieder zurecht, ohne ins andere Extrem zu verfallen. Sein Hesse ist kein Unbekannter, sondern aus vielen Erinnerungen von Zeitgenossen vertraut, eine sympathische, aber bei aller Faszination auch Respekt gebietende Gestalt, die gar nichts Onkelhaftes an sich hat und auch der Jetztzeit noch allerlei an Bedenkenswertem zu bieten hat: Ein unerschrockener und entschiedener Europäer, ein Deutscher und Schweizer aus Liebe zur Kultur und bedeutender Verfechter und Vermittler fernöstlicher Lebensweisheit.

Titelbild

Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das Leben des Glasperlenspielers.
Piper Verlag, München 2012.
432 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783492053020

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch