Blaue Wut und alte Wunden

Kathrin Gerlofs Roman über das Ende einer Beziehung

Von Christian RinkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Rink

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unglaublich, dass ein solch gut geschriebenes Buch so beginnt. Noch dazu, da hier eine Geschichte erzählt wird, die ebenso spannend ist wie sie sich an der Grenze zum Überkonstruierten bewegt.

Erzählt wird von Veronika und Hanns. Veronika ist 44, war als Jugendliche Leistungssportlerin in der DDR, wurde mit 16 Jahren schwanger und dazu gedrängt, ihr Neugeborenes zur Adoption freizugeben. Jahrzehntelang hat sie dieses Ereignis erfolgreich verdrängt und verzweifelt versucht, als unbewusste Kompensation ein Kind zu bekommen. Hanns ist ein Wendeverlierer mit einem gewaltigen Aggressionspotential. Er wird von Kathrin Gerlof als verletztes Alpha-Männchen gezeichnet, das in der gegenwärtigen Zeit darunter leidet, dass ihm seinem Ermessen nach die eigene Männlichkeit abhanden gekommen ist. Dabei hat Hanns eine faszinierende Eigenheit: Er nimmt seine Gefühle gleichzeitig in Farben war, wird gleichermaßen überwältigt von Gefühl und dazugehörigem sinnlichen Farbempfinden. Vorherrschend ist die „blaue Wut“, eine Wut, die sich gegen Veronika, die Gesellschaft im Allgemeinen und die Provinz im Besonderen richtet. Diese Wut, die er sich nach der Wende „erlaufen“ hat, wird dabei als Folge einer Nachwendedepression und Überforderung geschildert.

Spannung kommt in der Handlung dadurch auf, dass Veronika mysteriöse Briefe eines anonymen Absenders erhält und sich, wie das allzu oft in aktuellen Romanen geschieht, mit ihrer eigenen unbewältigten Vergangenheit auseinanderzusetzen hat. Der Leser hat dabei, so viel sei verraten, ein Rätsel zu lösen, das nicht aufgeht. Doch nicht nur mit der schmerzhaften Vergangenheit der erzwungenen Adoption steht im Roman eine Konfrontation aus, sondern auch mit dem Scherbenhaufen der Beziehung von Veronika und Hanns im Hier und Jetzt. Die Beziehung zwischen ihr und ihm ist die wohl fesselndste Komponente in Gerlofs unbarmherzigem Roman. Geschildert werden zwei Lebensabschnittspartner, die zwischen all den unausgesprochenen Verletzungen und in sich hinein gefressenen Kränkungen und Demütigungen langsam aber sicher vor die Hunde gehen. Hier fragen sich zwei, ohne dies vor dem anderen auszusprechen, was sie eigentlich noch zusammenhält. Am ehesten noch die eheliche Pflichterfüllung, die eher einem Übereinander-Herfallen gleicht und in dementsprechend drastischer Sprache geschildert wird.

Die Handlung kommt ein zweites Mal in Fahrt, als Hanns eine Stelle als Lokalreporter in der verhassten ostdeutschen Provinz antritt und gleichzeitig die anonymen Briefe an Veronika häufiger werden. Geschildert wird diese Provinz dabei so trostlos wie möglich. Abgebildet wird eine Gemeinschaft, die von Neo-Nazis unterwandert wird, eine Region, in der Stephen King mal ein Praktikum machen solle, wenn er was anderes als Maine sehen möchte. In diesem Horrorszenario sind die Monster die gewöhnlichen Menschen. Die Nachbarin, die ihren Ehemann verprügelt, die Alkoholiker und vor allem die Rechten, die die Gesellschaft langsam unterwandern und mit gezielter Gewalt im Griff haben. Es ist dabei nicht überraschend, aber doch schockierend, dass der zerrissene Hanns ebenso abgestoßen wie fasziniert von diesem Männerbund ist und die Handlung gleichzeitig unerbittlich ihrem Höhepunkt zustrebt.

Gerlofs Roman ist faszinierend, sehr plastisch und anschaulich in der reduzierten Beschreibung der Szenerie, mit einem Anfang, der einen in die Geschichte hinein katapultiert. Was es mit dem „Unglaublichen“ der Geschichte zu tun hat, mit Wut, Frustration, Angst, Überforderung und Schmerz der Figuren lässt einen tatsächlich bis zum Ende keine Ruhe. Die knappe, präzise Sprache lässt dem Leser dabei genügend Raum in der Vorstellungskraft. Gleichzeitig atmet das Buch eine spürbare Verzweiflung, der kaum zu entgehen ist. Oft fragt man sich, ob die Autorin bei der Entlarvung der geschundenen Männerseelen nicht zu weit geht und allzu stereotypische Vorstellungen der Männlichkeit beschreibt. Erzählt wird dabei jedoch konsequent aus der Sicht der Figuren, die Erzählerin enthält sich der direkten Kommentare. So entlarvt die Autorin letztlich überzeugend einen Männertyp in der Beschreibung des verletzten Alpha-Tierchens Hanns. Seine Wut möchte er als „echter Mann“ mit sich selbst aushandeln, scheitert dabei jedoch spektakulär und sieht ausgerechnet bei Rechtsradikalen seine Maskulinität wiedergewonnen. Das ist ebenso aktuell wie schmerzhaft zu lesen.

„Wieso können Menschen nicht einfach bleiben, wie sie mal waren? Wieso werden sie ängstlich und verrückt, entlieben und entfernen sich?“ Gerlof schildert zwei Menschen, denen die Liebe nicht plötzlich abhanden gekommen ist, sondern die sich allmählich voneinander wegbewegen, sich entfremden und im Ringen um geschlechtliche Rollenerfüllung ihre gemeinsame Sprache verlieren. „Tatsächlich“ endet die Geschichte mit einem Ereignis, das die Protagonisten und die Leser dieses unbarmherzigen Romans ebenso mit Endgültigkeit konfrontiert wie es sie ratlos zurücklässt.

Titelbild

Kathrin Gerlof: Lokale Erschütterung. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2011.
342 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783351033576

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