Ein erster Schritt zur historisch-kritischen Werkausgabe

Günter Dammanns zweiter Konferenzband zu B. Traven

Von Johann Georg LughoferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johann Georg Lughofer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der sorgfältig herausgegebene Band zur Tagung im Deutschen Literaturarchiv Marbach im März 2010 beschäftigt sich vorrangig mit der komplex verflochtenen Textgeschichte der Werke B. Travens. Punktuell wurden diese Fragen schon in der einzig textgeschichtlich relevanten Biografie von Edward N. Treventon sowie 2005 im ebenso von Günter Dammann betreuten Tagungsband „B. Travens Erzählwerk in der Konstellation von Sprachen und Kulturen“ von Karl S. Guthke und Alan Corkhill behandelt.

In diesem editionswissenschaftlichen Themenfeld harren aber noch viel mehr Fragen ihrer Aufklärung, da Traven das Recht einforderte und in Anspruch nahm, bei jeder neuen Auflage seiner Bücher einzugreifen. Besonders ertragreich wird die textkritische Herangehensweise auch vor dem Hintergrund, dass bei Traven nicht nur Eingriffe in chronologischer Perspektive analysiert werden können, sondern auch die Interferenzen mit den von Traven selbst interessiert verfolgten, betreuten oder gar durchgeführten Übersetzungen und Bearbeitungen ins Englische und Spanische.

Dieser Sammelband macht auf die vielschichtigen Wechselwirkungen der Textgeschichte in dieser einzigartigen Konstellation dreier Sprachen aufmerksam und kann dabei vielfach falsche Vorstellungen zu den spannenden Textgeschichten berichtigen. Dabei weist er auf die Sinnhaftigkeit einer historisch-kritischen Werkausgabe hin und leistet essentielle Vorarbeit dafür. So beleuchtet der Herausgeber Günter Dammann Travens bizarren Versuch, sich am deutschsprachigen Buchmarkt als US-amerikanischer Schriftsteller neu zu erfinden und seine Bücher aus dem Englischen ins Deutsche rückübersetzen zu lassen, wobei Dammann eindeutige Verschlechterungen der Texte konstatieren muss.

Karl S. Guthke analysiert die große Zahl deutsch- und englischsprachiger Fassungen des Romans „Die Baumwollpflücker“ und zeichnet die inkonsequente Bearbeitungsstrategie Travens nach, der nach und nach Hinweise auf zeitgeschichtlich konkrete soziale und politische Umstände, Bezugnahmen auf Europa insbesondere auf Deutschland sowie rassistische Formulierungen gestrichen hat. Aufschlussreich für Travens Poetologie sowie für seine sozialpolitischen Überzeugungen sind dabei die aufgezeigten Stellen, die vollkommen unangetastet blieben. Eine ähnlich überzeugende textgeschichtliche Arbeit leisten Galina Potapova für den Roman „Das Totenschiff“, Klaus Meyer-Minnemann für die spanischsprachigen Versionen von „Die Brücke im Dschungel“ und Dieter Rall für die Erzählung „Der Großindustrielle“.

Thematisch abweichend präsentiert sich der biografisch angelegte Beitrag Heidi Zogbaums, in dem sie die Beziehung Travens zu den deutschsprachigen Exilanten in Mexiko während des Zweiten Weltkriegs in Mexiko beleuchtet. Mexiko, bekanntlich das „wohltemperierte Exil“ für linke Exilanten, bot den deutschen Kommunisten gute Möglichkeiten zur Vereins- und Publikationsarbeit. Die ankommenden Linken kannten Mexiko meist nur aus Travens Büchern und wollten Kontakt mit dem mysteriösen Autor aufnehmen. Eine Kooperation hätte einen enormen Prestigegewinn bedeutet, den die Kommunisten nach Stalins Säuberungswellen und dem Nichtangriffspakt gut brauchen konnten. Zogbaum stellt erstmals kompakt die aufschlussreichen Versuche von Seghers, Kisch und anderen dar, Traven aus seiner Verborgenheit zu locken. Dabei zeigt sie, wie nahe die deutsche Exilgemeinde an Traven herankam, ohne dies überhaupt zu realisieren. Zogbaum erklärt mit den Übersetzungen durch den deutschen Exilverlag „El libro libre“ darüber hinaus, dass Traven die berufliche Partnerschaft mit Esperanza López Mateos, Schwester des späteren Präsidenten Mexikos, einging und spanische Übersetzungen seiner Werke als Reaktion auf den Zugriff der Exilanten autorisierte. Weiters zeigt Zogbaum schlüssig auf, dass er Kisch und Otto Katz um ihre Exklusivstellung hinsichtlich Berichte über Europa und den Krieg in gewerkschaftsnahen Zeitungen beneidete, während seine eigenen Versuche solcher Art scheiterten.

In einem zweiten Teil werden in sieben Beiträgen einzelne Werke Travens mit verschiedenen Ansätzen und Theorien – vom postkolonialen Ansatz zur Sprechakttheorie, von der Konzentration auf die Rezeption bis zur Schwerpunktlegung auf die Visualität – analysiert und interpretiert. Jörg Thunecke beleuchtet beispielsweise den von ihm 2008 aus dem Marut-Nachlass herausgegebenen Roman „Die Fackel des Fürsten“ hinsichtlich des narrativen Mittels der Digression als bedeutendes Bindeglied zwischen dem Frühwerk Maruts und dem Hauptwerk Travens.

Zusammenfassend muss aber die Bedeutung des Sammelbands vor allem an den editionswissenschaftlichen Beiträgen festgemacht werden, die hoffentlich als Vorarbeit einer historisch-kritischen Werkausgabe gesehen werden dürfen. Diese ist notwendig, insbesondere da die Werkausgabe durch Edgar Päßler ohne Rechtfertigung und Erläuterung – willkürlich anmutende – manchmal nicht einmal nachvollziehbare Fassungen übernommen hat.

Wie kompliziert ein solches Unterfangen wäre, zeigt sich eindrucksvoll in dem Sammelband, denn Traven hat niemals Erstausgaben als gültig anerkannt und bis zuletzt in seine Texte eingegriffen – aus seiner Anonymität heraus, was die Angelegenheit nicht weniger kompliziert macht. Die Konstellation von drei Sprachen, in denen Traven geschrieben hat, verunmöglicht es endgültig, von Fassungen letzter Hand zu sprechen.

Einer kritischen Ausgabe haben daher ausführliche Editionsberichte und Sachkommentare zu folgen. Ein essentieller Impuls dafür wurde dankenswerterweise mit diesem Konferenzband vorgelegt.

Titelbild

Günter Dammann (Hg.): B. Traven. Autor - Werk - Werkgeschichte.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2012.
240 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783826047978

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