Der Tyrannis in die Speichen fallen

Hans Mommsens Beiträge zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus

Von Felix MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch nach Jahrzehnten der Forschung stoßen Historiker auf Schwierigkeiten, wenn sie das Phänomen des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in den Griff bekommen wollen. Freilich liegt dies weniger an ihren redlichen Bemühungen - die einschlägigen Studien füllen inzwischen mehrere Regalmeter - als am Gegenstand selbst. Bereits der Begriff scheint Probleme zu bereiten: Gab es nicht eine Reihe von Fällen, in denen weit eher von Resistenz oder Opposition als von Widerstand zu sprechen war? Das lenkt den Blick auf die Formen der Auflehnung, die stark voneinander abwichen: Sie reichten von stummer Verweigerung über Kollaboration mit dem Kriegsgegner bis hin zu Attentatsplänen. Nicht zuletzt lassen sich die Ziele der Verschwörer kaum auf einheitliche Begriffe bringen. Was verband etwa den Eigenbrötler Georg Elser, dessen selbstgebaute Bombe 1939 Adolf Hitler im Bürgerbräukeller nur knapp verfehlte, mit der militärischen Konspiration des 20. Juli 1944? In welcher Hinsicht bestanden Gemeinsamkeiten zwischen studentischen Gruppen wie der "Weißen Rose" und den Widerstandskreisen, die von der Gestapo als "Rote Kapelle" geführt wurden?

Neben Ger van Roon oder Peter Hoffmann kann Hans Mommsen inzwischen als Koryphäe der Widerstandsforschung gelten. Die wichtigsten der zahlreichen Beiträge, die er während seiner langen wissenschaftlichen Laufbahn zum Thema veröffentlicht hat, sind nun in Gestalt eines handlichen Sammelbandes zugänglich. Dem Bochumer Emeritus erscheint, wie er gleich zu Anfang vermerkt, eine "theoretische Fixierung des Widerstandsbegriffes nicht hilfreich": "Die komplexe Struktur des NS-Regimes verwischte die Trennlinie zwischen Widerstand als Selbstbehauptung und Widerstand als aktives auf Umsturz gerichtetes Handeln." Anstelle einer theoretischen Debatte soll Motivsuche betrieben werden. Mommsen möchte sich und seinen Lesern über Beweggründe und Zukunftsentwürfe, über Ängste und Ziele, aber auch über Irrtümer und Fehlleistungen der Protagonisten Auskunft geben. Das gelingt ihm mit großer Anschaulichkeit und stilistischer Prägnanz.

Zu den wichtigsten und zugleich ausführlichsten Beiträgen des Bandes zählt der Aufsatz "Gesellschaftsbild und Verfassungspläne des deutschen Widerstandes", mit dem Mommsen bereits 1966 das Problemfeld einzuzäunen versuchte. Er betont, wie stark sich Ideale und Vorstellungswelt weiter Widerstandskreise in traditionellen, mitunter reaktionären Bahnen bewegten - und wo die Wurzeln solchen Denkens lagen. Die Überzeugung, eine parlamentarische Republik stelle keine wirkliche Alternative zum autoritären Führerstaat dar, speiste sich aus der langen Krise und dem Untergang der Weimarer Republik. Wenn tatsächlich, wie die Geschichte zu lehren schien, "im Zeitalter der industriellen Gesellschaft das Prinzip liberal-parlamentarischer Demokratie zu scheitern bestimmt war", so musste auf andere Modelle gesonnen werden. Im Rahmen der Treffen des Kreisauer Kreises etwa verständigte man sich dezidiert auf die Notwendigkeit autoritärer Sozialstrukturen. "Unsere Bewegung muß begreifen lernen", äußerte der Journalist Theodor Haubach, "daß Zeremonie, Befehl und straffe Führung keineswegs undemokratisch sind". Auch über Kreisau hinaus glaubte man gerade im Mangel an durchsetzungsstarken Führungspersönlichkeiten den entscheidenden Defekt während der jüngsten Vergangenheit zu erkennen. Generaloberst Ludwig Beck, ein führender Kopf der Militäropposition, hatte sich bereits in seiner Studie über Ludendorff in diesem Sinne geäußert, und aus der Feder Carl Goerdelers stammt der verächtliche Satz, die Demokratie sei nichts als die "Herrschaft der Masse".

Die Diagnose führte freilich zu sehr unterschiedlichen Konzepten, sobald die Frage nach der Auswahl einer neuen Elite berührt wurde. Auf der einen Seite existierten Bestrebungen, der alten, vordemokratischen Oberschicht nach einem geglückten Staatsstreich wieder zu ihren alten Rechten zu verhelfen: die Ansicht Stauffenbergs, man müsse die historischen Leistungen des Adels berücksichtigen, oder das Faible Fritz-Dietlof von der Schulenburgs für historisch gewachsene Eliten enthielten, wie Mommsen treffend schreibt, "eine unübersehbare Tendenz zur Restauration". Auf der anderen Seite wurden im Kreisauer Umfeld Pläne erörtert, die auf eine umfassende Neugestaltung der politischen Machtverteilung abzielten. So entwickelte Helmut James Graf von Moltke das Programm der "kleinen Gemeinschaften", die das Individuum aus dem Joch der Massengesellschaft befreien sollten. Die "naturhaft gegebenen Bindungen des Einzelnen" in Familie, Gemeinde oder Beruf dachte er sich dabei als Ausgangspunkt selbstbestimmter Gruppen, aus denen sich wiederum eine neue Elite rekrutieren sollte. Gemeinschaftsförderndes Verhalten sollte dabei politisch honoriert werden: Erst bei entsprechendem Engagement in sozialen Einrichtungen, Gemeinde- und Kirchenverwaltungen oder Arbeitslagern war nach Moltkes Plänen das Wahlrecht und die Zulassung zu öffentlichen Ämtern zu erwerben.

Wenn sich diese verfassungspolitischen Pläne auch fundamental voneinander unterschieden, so ist ihnen aus heutiger Perspektive doch eines gemeinsam: Sie wirken auf eine seltsame Weise antiquiert und sozialutopisch. Und sie sind gescheitert, allesamt, man möchte fast sagen: glücklicherweise. Sie deshalb als politische Irrwege in schrecklichen Zeiten zu betrachten, würde freilich die historische Sendung des Widerstandes verfehlen. Jenseits der Tauglichkeit seiner Projekte und Modelle gilt es vielmehr seine moralische Stärke zu bedenken, die noch heute zu faszinieren vermag. "In unserer politisch satten Gegenwart", schreibt Mommsen, "ist es angebracht, sich an die Geschichte des deutschen Widerstandes gegen Hitler zu erinnern und der Erkenntnis zu folgen, daß in der Grenzsituation allein politische Überzeugung und Zukunftsentwürfe zählen und nicht politisches Finassieren und taktische Anpassung an Mehrheitsmeinungen. Es ist ein Ehrentitel, daß der 'Widerstand ohne Volk' gleichwohl aus der Einsicht in die Verantwortung vor Gott und den Menschen gehandelt hat."

Titelbild

Hans Mommsen: Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes. Bd.1373.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
432 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3406459137

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