Überhöhung zum Heiligen

Ein Briefwechsel zwischen Thomas Valentin und Hermann Hesse

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Nach dem Studium des ‚Glasperlenspiels‘ hatte ich, von tausend Niederlagen zerstückt, den Mut verloren, Ihnen noch weiter zu schreiben. Ich schämte mich, wie man sich zuweilen vor Kristallen oder Kathedralen schämt. Gestern aber, in der Erinnerung an Ihren Weg vis zum 2. Juli 48, in der Rekapitulation vor allem der Jahre 16-28, spürte ich wieder die unsäglich tröstliche Nähe des ‚Großen Kameraden‘, der gewiss damals nicht milder vom Teufel geritten wurde, eher wilder.“ Hier schreibt ein Verzweifelter, einer der kurz davor ist, sich umzubringen. Seinen kurzen Geburtstagsbrief an den verehrten Hermann Hesse, diese „längste Epistel, die ich verkraftete“, schließt er mit den Worten, dass er nur noch eine Chance sieht: „die Aufrichtigkeit und wo sollten wir sie größer vollbracht finden als bei Ihnen.“

Hermann Hesse war immer schon eine Figur, an die sich Rat- und Trostsuchende wandten. Seine Schriften verwiesen immer wieder auf das eigene Innere, auf den eigenen Weg. Und so war er auch während der Nazizeit, in der seine Schriften, wenn nicht gerade verboten und verbrannt, so doch verpönt waren, eine Anlaufstelle für die Menschen, die nicht den Mut oder die Möglichkeit zur Flucht hatten, sich aber auch nicht aktiv am Faschismus beteiligen wollten. Für die, die es sich in der „Inneren Emigration“ einrichten mussten. Die glauben wollten, dass sie diese Zeit sauber und anständig hinter sich bringen könnten.

Einer von ihnen war Gerold Valentin, der sich als Schriftsteller Thomas Valentin nannte. 1922 wurde er in Weilburg an der Lahn geboren, ging in Dillenburg ab 1936 aufs Gymnasium und studierte ab 1940 in Gießen Philologie, vom Kriegsdienst war er wegen seiner schlechten Gesundheit freigestellt. Seine Dissertation allerdings wurde nicht angenommen, weil sie nicht wissenschaftlich genug war. In seiner Suche nach Unterstützung fand Valentin die Bücher von Hans Carossa, Ernst Wiechert und vor allem Hesse, dem er ab 1941 schrieb.

Wie immer antwortete Hesse auch ihm: Stets klage er über die Hunderte von Briefe, die er lesen und beantworten musste, aber er beantwortete sie, manchmal mit Rundbriefen, Gedichten oder Privatdrucken, manchmal aber auch persönlicher. Auch Valentin bekam diese Mischung von persönlichen Gedanken und distanzierteren Antworten, und auch Valentin empfand sie, wie viele Briefeschreiber, vor allem als Trost.

Wie bei vielen, die sich an Hesse wandten, ist auch in Valentins oft gefühligen und manchmal gewundenen Formulierungen Hesses romantischer Geist zu spüren: „Ja, so sagte ich wohl, und jählings wusste ich wieder, was das für ein wundersames, warmes Rieseln über das Herz ist, wenn jemand gut zu einem kommt“ und „China kommt mir immer näher, steht hinter Europa wie die große ewige Mutter hinter dem altklugen, problematischen Kind, das früh sich entwöhnte“ Wenn er von einem Gedicht schwärmt, „weil es mir in hundert verlassenenen, kalten Nächten und Tagen ein holdes, braunäugiges Bild vor die Seele malt“. Das könnte so direkt von Hesse sein.

Hier wirkt eine identifikatorische Überhöhung des Trostgebers zum Heiligen. Zwar äußert Valentin manchmal auch Kritik, aber vor allem an einem neuen Ton, den er im „Glasperlenspiel“ erkannt haben wollte und den er gegen die romantischeren, innerlicheren Töne des früheren Hesse ausspielte.

Bis zu Hesses Tod dauerte der Briefwechsel, der sich nach dem Krieg naturgemäß abschwächte. Besucht hat er Hesse nie, obwohl er schon eingeladen worden war, zu groß war die Scheu. Wobei Valentin, der sich in den 1950er-Jahren zum Schriftsteller entwickelte, sich davor scheute, Hesse sein erstes Buch zu schicken: „Es lohnt nicht, für den Autor von ‚Klein und Wagner‘. Überdies ist mir die Stimme zu hart, zu schrill geworden beim bitteren Protest gegen die Hölle für Kinder.“ Seinen zweiten Roman wollte er ihm noch schicken, aber dazu kam es nicht, Hesse starb vorher.

Der vorzüglich kommentierte Briefwechsel bietet einen interessanten Einblick in die Beziehung zwischen einem Suchenden und psychisch übrigens sehr Labilen und seinem verehrten Mentor. Das ist nichts Neues, denn man kennt diese Briefe und Antworten aus Hesses Korrespondenz schon lange. Vielleicht bietet es Neues für diejenigen, die sich mit Thomas Valentin beschäftigen, der in seinen späteren Jahren ein sehr erfolgreicher Schriftsteller und Filmemacher geworden ist. Heute ist er völlig vergessen.

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Norbert Otto Eke / Dagmar Olasz-Eke (Hg.): "Sprache, die so tröstlich zu mir kam". Thomas Valentin in Briefen von und an Hermann Hesse.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2011.
210 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783895288265

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