Eine flüssige Narration

Cay Rademachers Geschichte des Ersten Kreuzzuges bietet kaum neue Einsichten

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Innerhalb kurzer Zeit waren zuletzt zwei Titel über die Epoche der Kreuzzüge aus der Feder der britischen Historiker Thomas Asbridge und Jonathan Phillips auf dem deutschen Markt erschienen. Beide Darstellungen beanspruchen bisher unbekannte (islamische) Quellen berücksichtigt zu haben und daraus eine neue Perspektive auf wohl eine der dramatischsten Epochen des Mittelalters zu entwickeln. Man mag deren Versprechen als eingelöst betrachten oder aber auch nicht, welche neuen Gesichtspunkte aber nun Cay Rademacher und den Piper-Verlag dazu veranlasst haben, unter dem Titel „Blutige Pilgerfahrt“ eine weitere Geschichte des Ersten Kreuzzuges (1096-99) zu veröffentlichen, erfährt der Leser jedenfalls nicht.

Ohne den aktuellen Forschungskontext auch nur zu erwähnen, beginnt der Verfasser, zur Zeit leitender Redakteur des Hamburger „Geo-Epoche“ Magazins, gleich mit einer dramatischen Schilderung der Belagerung von Jerusalem im Juli 1099, um sodann nach diesem wohl als Stimulans gedachten Vorgriff den eigentlichen Erzählstrang mit der berühmten Synode von Clermont Ferrand im November 1095 zu beginnen. Es gehört fraglos zu den Stärken von Rademachers Text, die komplexe Genese der mittelalterlichen Kreuzzugsidee aus den damals bestehenden ideologisch-politischen Spannungsfeldern zwischen Kaiser und Papst sowie zwischen Ost-und Westkirche auch für den weniger orientierten Leser nachvollziehbar herauszuarbeiten.

Nach dem beispiellosen Siegeslauf eines kriegerischen Islam im 7. und 8. Jahrhundert hatte sich die neu aufgeteilte Mittelmeerwelt um die letzte Jahrtausendwende politisch zunächst etabliert. Das wieder erstarkte byzantinische Reich konnte seine Herrschaft über den Balkan und Anatolien festigen und arbeitete sogar fallweise mit den moslemischen Fatimiden Ägyptens zusammen. Die lateinischen Feudalherren wiederum hatten Südfrankreich und Nordspanien gegenüber dem Islam behaupten können und expandierten zugleich im Nordosten über die Elbe hinaus. Erst als um die Mitte des 11. Jahrhunderts mit den türkischen Seldschuken im Osten und den Normannen im Westen zwei neue und politisch höchst aggressive Gruppierungen ins Spiel kamen, geriet dieses Gleichgewicht der etablierten Mächte ins Wanken.

Nicht der – tatsächlich schon über vier Jahrhunderte zurückliegende – Verlust von Jerusalem, der so genannten heiligen Stadt, war somit der tatsächliche Auslöser der bald die ganze lateinische Christenheit erfassenden Kreuzzugseuphorie, sondern die Niederlage der Byzantiner gegen die Seldschuken nahe der armenischen Stadt Mantzikert im Jahre 1071. Die dramatische Folge dieses zunächst marginalen Ereignisses weit jenseits der westeuropäischen Wahrnehmung war der rasche Verlust fast ganz Anatoliens, des Kerngebietes der Herrscher Konstantinopels, die nun plötzlich türkische Emire als unbequeme Nachbarn hatten. Der griechische Basileus brauchte Soldaten und das selbst im Westen bedrängte Papsttum wollte sie ihm verschaffen, in dem es – nach islamischem Vorbild – den Kampf gegen die „Ungläubigen“ spiritualisierte und damit zugleich auch seine Position im Konflikt mit Kaiser Heinrich IV. festigte.

Dies alles und auch die Ereignisse, die auf das in Clermont Ferrand angestimmte Deus lo vult bis zur grausamen Eroberung Jerusalems folgten, wurden bereits von Steven Runciman vor mehr als einem halben Jahrhundert meisterhaft erzählt. Rademacher bietet hier kaum Neues, sieht man einmal von seinem reportageartigen Stil ab, der seinem Text immerhin ein gewisses Tempo verleiht. Die zahlreichen, oft sehr ins Detail gehenden Beschreibungen von Schlachten und Belagerungen bleiben somit für den Leser einigermaßen „genießbar“. Allerdings wären vereinzelte Skizzen zum Verständnis der militärischen Vorgänge durchaus hilfreich gewesen. Rademachers Fazit und Ausblick auf die nach 1099 noch folgenden sechs oder sieben Kreuzzüge fallen dann allerdings recht knapp und essayistisch aus. Unstrittig dürfte sein, dass der tatsächliche Verlierer der Kreuzzugsepoche das Byzantinische Reich war, dessen Hauptstadt 1204 von den Lateinern sogar erstürmt und mehr als ein halbes Jahrhundert lang besetzt wurde.

Durchgehen lassen könnte man dem Verfasser auch noch die Ansicht, dass die Kreuzzüge später zum Vorbild der spanischen Konquistadoren in der so genannten neuen Welt wurden. Doch eindeutig falsch und bereits mehrfach wiederlegt ist seine These, dass der Einfall der westlichen Armeen – in Rademachers Diktion „blutgierige und undisziplinierten Horden“ – in Syrien und Palästina zu einem jahrhundertelangen politischen Trauma der islamischen Welt geführt habe. Tatsächlich tauchte die Kreuzzugsrhetorik in der arabischen Welt erst mit der Gründung des Staates Israel und dem Ersten Nahostkrieg auf. Insgesamt liefert Rademacher eine zwar gut lesbare, aber doch weitgehend im Narrativen verharrende Darstellung des ersten und militärisch noch erfolgreichsten Kreuzzuges, in der allerdings dem Leser die üblichen Klischees vom klugen Sultan Saladin und der angeblichen „Duldsamkeit des Islams“ nicht erspart bleiben.

Titelbild

Cay Rademacher: Blutige Pilgerfahrt. Der erste Kreuzzug ins Heilige Land.
Piper Verlag, München 2012.
384 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783492054331

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