Von der Figur zur Gestalt und zurück

Ein Aufsatzband untersucht an Texten von E. T. A. Hoffmann Strategien der Figuration

Von Anett KollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anett Kollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Figuren sind Figurationen. So könnte eine Erkenntnis des Aufsatzbandes verkürzt lauten. Figur(ation)en relativieren einander und erlauben als Zeichen einen Prozess der (unendlichen) Semiose, der nicht nur in den und aus den Figuren heraus begründet ist, sondern auch auf der Textebene in sprachlicher und struktureller Hinsicht nachgewiesen werden kann. Als Resultat ergeben sich disparate Text-, Figuren- und Lektürebefunde, die vor allem an literarischen Produkten evident sind, die sich tradierten Erzählkonventionen verweigern, sie unterlaufen oder gegeneinander ausspielen.

E. T. A. Hoffmann ist einer der Literaten, dessen Texte ihre Spannung aus dem virtuosen Alterieren der Textkonstituenten beziehen. Er scheint deshalb besonders gut geeignet, die Figuration als mehrdimensionales Phänomen zu beschreiben. Entsprechend unterschiedlich sind die Zugriffe der 13 Autoren des Bandes auf den Begriff und seine Relationen, die immer mit großer Nähe zum Text aus rhetorischer, literaturtheoretischer, poetologischer und figürlicher Perspektive umschrieben werden. Alle Texte kreisen dabei um die Beobachtung einer teilweise mehrfachen Duplizität im Prozess der Figuration. Die Metalepse stellt sich dabei als eines der Grundmuster Hoffmanns Erzählens heraus (Alice Stašková, Nicole A. Sütterlin). Seine „Experimente mit interferierenden Ordnungsmustern und Handlungsräumen“ (Alexander Honold) dienen dabei der „Doppelcodierung von gemeinem Leben und Wunderreich“ (Christoph Steier), der Performanz der „Jenseits-Diesseits-Problematik“ (Daniel Cuonz) oder dem „unablässigen Nachdenken über die Geltung von Zeichen, die Möglichkeiten ihres Gebrauchs und insbesondere ihres Missbrauchs“ (Yves Schumacher). Das Zusammenspiel der Figurationen kann einer Lösung zustreben, zum Beispiel in der Art einer „Anamorphose von Bild, Text und Musik“ (Gabriele Brandstetter), oder aber als „Psychoanalyse avant la lettre“ die „unklaren Realitätsebenen als Niederschrift der psychotischen Wahrnehmung“ (Eckart Goebel) einer disparaten Gestalt ausmalen. Hoffmanns figurative Poetik offenbart sich dabei als „sich fortzeugender metaphorischer Wandel versatibler Gestalten“ (Sabine Schneider), als „visueller Palimpsest“ und „transfigurativ imaginiertes Verfahren“ (Christoph Steier). Vielfach konstatieren die Autoren des Bandes trotz der unterschiedlichen methodischen Ansätze an den untersuchten Texten direkt oder indirekt einen (paradoxen) Chiasmus als Element Hoffmann’scher figuraler und figurativer Narration, das sich auf verschiedenen Ebenen manifestiert und die Doppelcodierungen zudem miteinander verschränkt. Solcherart sich überkreuzende Figurationen zeigen sich als „zwei einander überlagernde Formen der Differenz zwischen erzählt Gespiegeltem oder gespiegelt Erzähltem“ (Ulrike Landfester), als „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Peter Schnyder), als „basaler Chiasmus von Sprache und Bild“ (Ralf Simon), als „Chiasmus, der sich figuriert aus dem Gleichsein des Anderen und dem Anderssein des Gleichen“ (Daniel Müller Nielaba) oder als „chiastisches Verhältnis zwischen Rahmen- und Binnenerzählung“ (Nicole A. Sütterlin).

Die Begriffstrias von Figur, Figura und Figuration eröffnet ein komplexes Volumen literaturwissenschaftlicher Epistemologie, das – wie die Aufsätze zeigen – in der Abgrenzung zur Tropologie vielversprechenden Ansätze zur Texterkenntnis birgt. Insbesondere bei offenen Texten, die sich aus multiplen Kippfigurationen konstituieren und dadurch eine Festlegung tendenziell verweigern, können figurologische Überlegungen Lösungen anbieten, ohne den Charakter der Texte zu gefährden. Die Anwendung auf Texte anderer Autoren wird zeigen, ob die Figurologie als Methode unter der Voraussetzung einer begrifflichen Stabilisierung hier zu ebenso überzeugenden Ergebnissen führt.

Titelbild

Daniel Müller Nielaba / Christoph Steier / Yves Schumacher (Hg.): Figur - Figura - Figuration. E.T.A. Hoffmann.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2011.
200 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783826046476

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