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Ist Jan Caeyers mit seinem biografischen Werk „Beethoven – Der einsame Revolutionär“ ein großer Wurf gelungen?

Von Peter MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beethoven war ein Genie, ein Visionär und Revolutionär. Beethoven ist aber auch schon seit nahezu zwei Jahrhunderten Objekt historischer und musikalischer Untersuchungen. Somit ist es mit einem gewissen Risiko verbunden, sich in die Masse zahlloser Biografien und Essays einzureihen – denn gibt es überhaupt noch etwas zu sagen?

Jan Caeyers – ehemals künstlerischer Leiter der Beethoven-Akademie und momentan Dirigent bei Le Concert Olympique – hat den Versuch gewagt und eröffnet mit wissenschaftlicher Distanz einen weder glorifizierenden noch skandalisierenden Blick auf den Künstler und vor allem auch Menschen Beethoven. Revolutionär Neues kann natürlich nicht erwartet werden, ungewöhnlich jedoch die Einteilung von Beethovens Leben in fünf Epochen, denen jeweils ein eigener, umfangreicher Abschnitt gewidmet wird: Im ersten Abschnitt schildert der Autor Beethovens Jahre in Bonn bis zu seiner endgültigen Auswanderung nach Wien im Jahre 1792. Wie zu erwarten, gibt es über die ,Jugendjahre‘ die wenigsten dokumentierten Fakten. Vielleicht handelt es sich auch deswegen um den schwächsten Teil der Biografie, denn Caeyers verdeutlicht zwar einige Umstände, die die Entwicklung von Beethovens Talents maßgeblich beeinflussten – so hätte sein künstlerisches Leben mit Sicherheit einen anderen Weg genommen, wenn die Kriegswirren etwas früher begonnen und seine Reise nach Wien verhindert hätten –, ergeht sich leider aber auch in Vermutungen, die letztlich keinerlei Information bieten: „Entjungfert wurde Beethoven vielleicht von einer Prostituierten. Schuppanzigh soll ihn nach einer alkoholisch ausgearteten Geselligkeit zu dieser Eskapade überredet haben, wonach Beethoven sich angeblich aus Scham wochenlang nicht mehr blicken ließ.“ Caeyers weist darauf hin, dass die Literatur zu Beethoven diese Möglichkeit aufgrund dessen angeblich „idealistischer Einstellung zu Liebe und Sexualität“ und der damit verknüpften Diskrepanz zu seinem Leben unerwähnt lässt. Letztlich könnte diese Aussage allerdings in jeder Biografie einer beliebigen Person auftauchen und weist somit keinen tieferen Gehalt auf – denn wer besitzt schon dokumentierte und falls ja, auch uneingeschränkt glaubhafte Berichte zu seiner Entjungferung? Effekthascherei mag man dem Autor dennoch nicht vorwerfen, da er dies wohl als ,elegante‘ Überleitung zu zwei Beethoven-Zitaten zur Prostitution verstand. Inwieweit die Tatsache, dass der Komponist eventuell ein solches Etablissement besucht haben könnte, sein Werk oder den Blick auf sein Leben bereichern könnte, bleibt auf jeden Fall fraglich.

Der zweite Abschnitt – mit dem etwas merkwürdigen Titel „Zeit der Gärung“ – beschreibt Beethovens Aufstieg, sowohl als Konzertpianist als auch als Komponist, bis seine beginnende Taubheit ihn dazu zwang, sich komplett dem Komponieren zu verschreiben. Einen besonderen Reiz übt hier auch die Beschreibung der Stadt Wien um die Jahrhundertwende aus, denn Caeyers gelingt es, ein lebendiges und unverklärtes Bild der damaligen Kulturhauptstadt zu zeichnen. Das Zentrum der Stadt mit fast 60. 000 Menschen wirkte, „als wären hier mehrere Städte übereinander gebaut worden [und hatte] auch etwas Beklemmendes an sich.“

Im Sommer konnte die Stadt fürchterlich stinken, im Winter machte sich der Mangel an Licht, Luft und Raum unangenehm bemerkbar, so Caeyers. „1792 drohte ständig der Verkehrsinfarkt […] und vor allem die schwächeren Verkehrsteilnehmer, die Fußgänger, mussten höllisch aufpassen, um nicht über den Haufen gefahren zu werden.“ Diese Schilderungen machen es dem Leser einfach, sich in diese Zeit hineinzuversetzen und auch Beethovens anfängliche Probleme, dort Fuß zu fassen, werden somit greifbarer.

Der Mittelteil umfasst die Jahre 1802-1809, in denen Beethoven etwa mit der „Eroica“, der „Appassionata“, seiner Oper „Leonore“später „Fidelio“ – und den ,Zwillingssinfonien‘ „c-moll“ und „Pastorale“ Zugang zu einem breiteren Publikum fand, das begann, seine ,neue‘ Musik zu würdigen. Natürlich darf auch in dieser Biografie das Zerfetzen der Widmung seiner „Eroica“ nicht fehlen. Caeyers weist jedoch darauf hin, dass dieser Akt – aufgrund Beethovens Plan, nach Paris überzusiedeln – ohnehin „eher pragmatisch als ideologisch motiviert war“. Eingerahmt wird die Anekdote mit einem ausführlichen Blick auf die zu dieser Zeit zu verfolgenden politischen und militärischen Entwicklungen, aber auch auf die Gedanken Beethovens, seine Karriere möglichst geschickt voranzutreiben. In diesem Zusammenhang lässt der Autor auch den hart verhandelnden und durchaus unangenehmen Geschäftsmann Beethoven lebendig werden, der es anschließend mit den selbst vereinbarten Konditionen – insbesondere den Abgabeterminen neuer Kompositionen – nicht mehr so genau nahm.

Mit dem Schwellenjahr 1809 wählt Caeyers den Zeitpunkt, als Beethovens Abschied von Wien sehr wahrscheinlich wurde – möglicherweise lag bereits eine Einigung über eine Anstellung in Kassel, der „Hauptstadt des neuen Königreichs Westphalen“ vor, ehe Beethoven durch einen lukrativen Vertrag, den er aufgrund unglücklicher finanzieller Entwicklungen später als „Unseeliges Dekret“ bezeichnen sollte, doch Wien verbunden blieb. In diesen Abschnitt fallen neben der Tondichtung „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“, mit der er endgültig zu einer Art Popstar aufstieg, auch Zeiten großer finanzieller und privater Querelen, etwa der Kampf um das Sorgerecht für seinen Neffen Karl und das Mysterium um seine „Unsterbliche Geliebte“, bis zu dem Zeitpunkt als laut Caeyers der Liederzyklus „An die ferne Geliebte“ „das Ende aller Hoffnungen auf ein gemeinsames Leben mit der Frau seiner Träume“ markierte.

Als letzter Teil steht „Der einsame Weg (1816-1827)“ schließlich im Zeichen des Niedergangs oder vielmehr der ‚sozialen Verarmung‘ Beethovens, denn Caeyers schildert nicht nur die gesundheitlichen Beschwerden, die durch übermäßigen Alkoholkonsum verstärkt wurden, sondern auch die Versuche des Komponisten, in seiner Ersatzfamilie emotionalen Halt zu finden. Sehr plastisch stellt Caeyers hierbei die komplizierte Beziehung zu Beethovens Neffen dar, der sich ihm in dieser Zeit immer mehr entfremdete und entzog. Umso erstaunlicher, dass der Künstler Beethoven noch lange nicht am Ende war und bis zum Schluss nach immer neuen Wegen suchte, seinen Gedanken in der Musik Ausdruck zu verleihen.

Die exemplarischen Einblicke in gerade diese Entstehungsprozesse seiner Werke gestaltet Caeyers aufgrund seines Metiers umfangreich, aber stets mit einer gesunden Balance zwischen Werk und Leben. Zudem bleibt er trotz der dargestellten Strukturierung flexibel genug, die geschilderten Ereignisse in sinnvolle Kontexte einzubetten, wobei der Zeitrahmen bisweilen durchbrochen wird. Die dadurch entstehenden und wohl kaum vermeidbaren Redundanzen sind jedoch nicht störend, sondern unterstützen vielmehr das harmonische Gesamtbild dieser Lebensgeschichte, die sicher nicht die absolute Wahrheit darstellt, wohl aber einen stimmigen Überblick über die Erkenntnisse der ,aktuellen‘ Beethoven-Forschung liefert. Und so wie es zu jeder Symphonie trotz zahlloser Interpretationen nie die einzig wahre Aufführung geben wird, so ist auch diese Biografie letztlich nur eine Interpretation der Symphonie eines Lebens, dem man wahrscheinlich nie ganz gerecht werden wird. Sicher ist: Was dem Neuentdecker ein umfassender Einstieg ist, kann dem Fachmann eine durchaus gelungene und lesenswerte Ergänzung sein.

Titelbild

Jan Caeyers: Beethoven. Der einsame Revolutionär. Eine Biographie.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Andreas Ecke.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
832 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406631283

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