Metaphern für die menschliche Existenz

Eine Publikation zu Louise Bourgeois’ „Passage dangereux“

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Passage dangereux“ wurde 1998 von der amerikanisch-französischen Künstlerin Louise Bourgeois, die vor zwei Jahren im Alter von 98 Jahren verstarb, abgeschlossen und gab der diesjährigen Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle auch den Titel: Der Betrachter umschreitet ein Konglomerat von Zellen, in denen sich Objekte und Skulpturen befinden, die Metaphern für die menschliche Existenz sind und vor allem in drastischer Weise auf den Tod verweisen, der hier vielfache Gestalt annimmt. Als hölzerner Sitz, der an einen elektrischen Stuhl gemahnt, aber auch als zartes, fragiles Pferdchen aus der Kindheitswelt. Der Tod findet nicht zuletzt im Bild der steckendürren Beine eines kopulierenden Paares seinen Ausdruck, der Zeugung und Vergehen zeitgleich ins Bild setzt. Die einzelnen Gegenstände werden in ein Beziehungsnetz verwickelt, sie fordern die Vorstellung heraus, sich zu entfalten. Durch die Gitterwände dieses acht Meter langen und vier Meter breiten Käfigs mit einem Gang in der Mitte, durch den ursprünglich der Betrachter hindurchgehen sollte, schaut man hinein in jede Zelle, sucht den metaphorischen Sinn zu erfassen; manches wird überhaupt erst durch angebrachte Spiegel erkennbar.

Eine Publikation der Hamburger Kunsthalle, flankierend zur Ausstellung, informiert umfassend über das Spätwerk der hochbetagten Künstlerin, einer Pionierin der Postmoderne, die von 1996 bis zu ihren letzten Arbeiten noch einmal einen erstaunlichen künstlerischen Höhepunkt erlebte. Während der Ausstellung, die im Juni zu Ende ging, war auf der Plattform zwischen den beiden Museumsgebäuden der Hamburger Kunsthalle die neun Meter hohe Spinnenskulptur aus Bronze zu sehen, die sozusagen das Gegenstück zum Werk „Passage dangereux“ bildet. Die Spinne, die ja gemeinhin – und dazu noch in dieser Riesendimension – etwas Gefährliches, Bedrohliches zu assoziieren scheint, kann man aus nächster Nähe betrachten, man kann durch sie hindurchgehen, sie hat sich vermenschlicht, und Louise Bourgeois hat ihr auch den Namen „Maman“ gegeben. Sie ist eine Hommage an ihre Mutter, einer Restauratorin von alten Tapisserien, bei der sie gelernt und Vorzeichnungen für die Gewebe gefertigt hatte. So sind denn auch später Fäden, Gewebe, Stoffmuster, genähte Skulpturen aus Textilien und Wäsche die bevorzugten Materialien der Künstlerin geworden. In diesem Sinne leistete Louise Bourgeois, wie Hubertus Gassner im Geleitwort schreibt, „als vernetzende Spinne Beziehungsarbeit“. Dagegen entwickelte die Künstlerin im Spätwerk in den Zellen ein skulpturales System, das moderne narrative Strukturen mit einem Denken in Bildern verbindet.

Die Kuratorin der Hamburger Ausstellung. Brigitte Kölle, gibt Aufschluss über das Hauptwerk „Passage dangereux“, weist auf Details und Elemente hin, die einen direkten autobiografischen Bezug haben. Es sind Souvenirs und Objekte aus dem eigenen Leben der Künstlerin. Aber darüber hinaus sind sie Metaphern einer wirklichen Passage dangereux, einer gefährlichen wie gefährdenden Lebensreise, in verschiedenen Kapiteln erzählt. Sie führt von der Kinderschaukel bis zum (elektrischen) Stuhl mit Lederfesseln. Dazwischen gibt es Lust (die beiden Fußpaare an Stangen in kopulierender Stellung), Verführung (die tote Fliege in der Likörflasche), Zerbrechlichkeit und Isolation (die Glaskugeln auf den Stühlen als Luftblasen), Vergänglichkeit (die Knochen in der Glaskugel), Flüchtigkeit der Sinne (die Parfumflakons und die marmornen Tierohren) und immer wieder das Thema der Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis (die Spiegel). Dagegen stellt „Cell XXII (Portrait)“ (2000) eine aus weißem Stoff zusammengenähte menschliche Figur dar, die auf einem hölzernen Schemel vornüber zusammengesunken ist – Sinnbild äußerster Verlassenheit, Einsamkeit und Leblosigkeit.

„Lady in waiting“ („Kammerfrau“, 2003) ist eine kleine weibliche Aktfigur, aus den gleichen Tapisserien gefertigt wie der Lehnstuhl, auf dem sie sitzt. Aus ihrem Körper wachsen acht Spinnenbeine, aus ihrem Mund kommen feine Fäden hervor, die den Raum vernetzen. Brigitte Kölle sieht bei dieser ihr Netz auswerfenden „Spinnenfrau“ einen Bezug zu der mythologischen Figur Arachne, die von der Göttin Athene in eine Spinne verwandelt wurde. Die Skulptur „Untitled“ (2000) wiederum besteht aus sich zu einem Turm erhebenden Quadern aus unterschiedlichen Tapisserien, die gekrönt werden mit der Lilienblüte, dem Emblem der französischen Monarchie. Trotz aller Balance und dem In-Sich-Ruhen dieses Turmbauens, eines beliebten Kinderspiels, fragt man sich, wann dieser Turm in sich zusammenfallen und aus dem Spiel bitterer Ernst werden wird.

Brigitte Kölle sieht das zyklische Prinzip des Schaffens, Zerstörens (Aggression) und Erneuerns (Wiedergutmachens) als grundlegend für das Verständnis der Kunst Louise Bourgeois an. Kleidung war für die Künstlerin eine „Erinnerungsübung“. „Sie lässt mich die Vergangenheit erforschen, wie fühlte ich mich, als ich das oder das trug. Kleider sind wie Wegmarken auf der Suche nach der Vergangenheit“. In dem Werk „Untitled“ (1996) hängen an einem metallenen Baumgerüst acht Kleidungsstücke, transparent, zart und verführerisch. Erst beim genaueren Hinsehen entdeckt man, dass Tierknochen als Kleiderbügel dienen – und damit kippt der Eindruck des Zarten, Verführerischen insTraumatische um. Aus Stoffen und Textilien ist das 36-seitige Buch „Ode à l’oubli“ („Ode an das Vergessen“, 2004), eine Folge von abstrakten, farbenfrohen Bildmustern, gefertigt worden. Es ist ein Gewebe des Lebens. „Ich hatte eine Erinnerung an etwas, das nie existierte“, bekannte die Künstlerin. Was lebt hier in ihrer Erinnerung, wie fügen sich hier Imagination und Wirklichkeit zusammen? Eine in Stoff gesponnene Spiralform, „Untitled“ (2005) – fasst gleichsam das Werk von Louise Bourgeois zusammen: Die Spirale ähnelt der Struktur eines Spinnennetzes und fügt ihr das Moment der Bewegung hinzu. Eine Spirale – so Brigitte Kölle – ist gleichsam der Beginn der Bewegung im Raum. Bewegung ist Leben und immer mit Bedrohung und Angst verbunden. „Angst hält die Welt in Bewegung“, sagt Louise Bourgeois. Und so ist die Spirale für sie „ein Versuch, das Chaos unter Kontrolle zu bringen. Sie hat zwei Richtungen. Wohin stellst du dich, an den äußeren Rand oder mitten in den Wirbel?“

Luisa Pauline Fink beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Geschichte der Arachne, die von Louise Bourgeois in vielfacher Form erzählt und verwendet worden ist. Mit dem Webfaden, der ein Spinnennetz wird, und der begabten Weberin, die in eine Spinne verwandelt wird, werden zentrale Themenkomplexe im Spätwerk der Künstlerin behandelt. Eine Biografie dieser großen Einzelgängerin mit ihrer starken Ausprägung des Selbst und ihrer Betonung der psychodynamischen Dimension der Kunst beschließt den reich illustrierten Band, der eine wertvolle Bereicherung der Louise-Bourgeois-Literatur darstellt.

Titelbild

Hubertus Gaßner / Brigitte Köller (Hg.): Louise Bourgeois. Passage dangereux.
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Hamburg 2012.
94 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783938002391

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