Radikale Verneinung der Existenz

Tor Ulven lässt seine Leser in seiner Geschichtensammlung „Dunkelheit am Ende des Tunnels“ an einem selbstzerstörerischen Monolog teilhaben

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der norwegische Autor Tor Ulven beging am 18. Mai 1995 Selbstmord, im Alter von 41 Jahren, nachdem er zuvor während längerer Zeit sein Zimmer kaum mehr verlassen hatte. Diese biografische Kurzinformation wirft ein erhellendes Schlaglicht auf seinen Geschichtenband „Dunkelheit am Ende des Tunnels“. Tor Ulvens Prosa nimmt uns mit auf eine Reise in die finsteren Abgründe eines Menschen, den nichts mehr hält außer seiner rabenschwarzen Sicht auf die Welt und die eigene Existenz. Selten erscheinen Texte, die derart in ein enges Zimmer eingesperrt sind, so reich, schillernd und abgründig. Man braucht Ulvens Sarkasmus nicht zu teilen, um davon eingenommen zu werden.

Der Band verrät auf kleinstem Raum eine universelle Dynamik. Eine Frau sitzt schlaflos am Fenster ihres Zimmers und schaut in die Nacht hinaus. Sie blickt in ein erleuchtetes Café – Hoppers Bild „Nachtschwärmer“ taucht unwillkürlich im eigenen Kopf auf. Drei späte einsame Gäste teilen mit einem Kellner den Raum. Am beobachtenden Blick kristallisieren sich ihr eigenen Gedankengänge. Ob es lediglich Projektionen der Schlaflosen sind oder eine auktorielle Variation der Erzähloptik, bleibt offen. Spürbar wird auf jeden Fall eine beklemmende Intensität im nichtigen Kreisen bis an jenen Endpunkt, wie die Erzählerin schreibt, „an dem wir glauben, es nicht mehr auszuhalten, keine Woche, keinen Tag, keine Stunde, keine Minute, keine Sekunde länger, aber wir sagen uns nur noch eine Sekunde, eine Minute, eine Stunde, einen Tag, eine Woche, dann ist Schluss, dann ergeben wir uns, doch es ist nie vorbei“.

Filigran und tastend beschreiben die insgesamt neun Geschichten eine Gedankenreise von diesem Fensterplatz hinaus in eine Welt, die bloß noch aus menschenleeren Ruinenlandschaften besteht – und wieder zurück zu den den eigenen Gedanken, die sich selbst auslöschen. „Ungeschrieben“ ist dieser letzte Text überschrieben. Ein Ich-Erzähler dekliniert unerschütterlich vor sich selbst die eigene Nicht-Existenz, einschließlich aller Vor- und Nachfahren, einschließlich allen Seins. Die Negation ist total und zugleich schillernd begründet – ein Nicht-Ich wie der Schreibende kann auch „keine Wahrnehmungen zu einer kompletten Szene oder einem Situationsbild zusammensetzen“, selbst wenn die Leser dieses Bandes bis dahin gerade solche Bilder erfahren haben. Tor Ulven widerspricht sich selbst: schon im ersten Satz der Fenstergeschichte. Die Erzählerin liebt es hinauszuschauen, nachts, wenn sie nicht schlafen kann, doch weil sie nicht schlafen kann, hasst sie es, allein im Dunkeln zu sitzen und hinauszuschauen. Dafür gibt es keine Lösung. Auch nicht am Ende. Wer nie in der Existenz angekommen sei, kann sie auch nicht verlassen, darin besteht das finstere Dilemma.

Die Möglichkeit eines Auswegs verraten diese Geschichten nur da, wo sie teils faszinierende, teils schauderhafte Ideen und Bilder erschaffen, die von einer ungebrochenen Poesie im Kopf des Autors zeugen. Der „Hysteriker“ denkt sich üble Dinge aus – was wäre, wenn seine Arme auf einmal gelähmt wären… Von einer nicht weiter beschriebenen Frau wird er „Simulator, Similimärtyrer“ genannt. Alle alle Figuren bleiben einsam und allein, ihre Zwiegespräche sind bloß Selbstmonologe. Das gilt erst recht für die großartige Titelerzählung, im Untertitel „Eine nicht-pornographische Geschichte“. Zwei letzte Gäste sitzen im Nachtzug allein in separaten Abteilen. Die Frau sieht den Mann als Rückenfigur, mehr geschieht äußerlich nicht. Im Kopf der Frau aber beginnt sich das Verhältnis der beiden zu bewegen. In Gedanken spielt sie durch, wie sie sich allmählich bemerkbar machen könnte, mit ihren Reizen spielen, sich schließlich entblößen und sich mit dem geil gewordenen Mann vereinigen könnte. Doch es bleibt alles im Konjunktiv stecken, im stereotypen „sie tat es nicht“, „du tust es nicht“, „er tat es nicht“. Der pornografischen Fantasie entspricht in der Wirklichkeit das fahle Interieur eines nächtlichen Zuges, der durch die schwarze Nacht und durch triste Bahnhöfe fährt. Die zwei letzten Gäste bleiben voneinander isoliert, einzig zwei Mücken auf dem Fensterbrett scheinen es zu tun, soweit sich dies erkennen lässt, bevor sie „unsystematisch“ wie Mücken es tun, einen Ausweg aus dem geschlossenen Raum suchen.

Ulvens Geschichten klingen finster und sarkastisch. „Ich fühle mich beispielsweise wie ein Name, der auf eine Klowand gekritzelt wurde“, heißt es in einer anderen Geschichte. Dennoch leuchten sie – irgendwie. Leitmotivisch schwebt eine laue Meeresbrise durch diesen Band und hält vage und seit lange ungesehen die Erinnerung ans Meer und seine Weite wach. So braucht man als Leser diese rabenschwarze Melancholie keineswegs zu teilen, um nicht doch davon fasziniert zu sein.

Kein Bild

Tor Ulven: Dunkelheit am Ende des Tunnels. Geschichten.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel.
Literaturverlag Droschl, Graz 2012.
135 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783854207931

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch