Die Welt des Glasperlenspielers

Ein kleiner Wegweiser durch die Neuerscheinungen zum 50. Todestag Hermann Hesses

Von Dieter KaltwasserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dieter Kaltwasser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Beginn des Vietnamkriegs in den 1960er-Jahren entdeckte eine wachsende Zahl junger Amerikaner Hermann Hesse für sich, eine immer stärker opponierende Jugend, die es unter dem Hippie-Motto „Make Love Not War“ schließlich erreichte, dass 1973 in den USA die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Die Jugendrevolte schwappte nach Europa über. Einer der Häuptlinge dieser Rebellion war Hermann Hesse, der am 9. August 1962 im Alter von 85 Jahren in Montagnola gestorben war. Seit dieser Hesse-Renaissance ist die Begeisterung für den Schriftsteller, der am 2. Juli 1877 im schwäbischen Calw als Sohn eines Missionarsehepaars geboren wurde, international ungebrochen; Hesse ist mit seinen insgesamt 40 Titeln, die inzwischen weltweit in 125 Millionen Exemplaren verbreitet sind, einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Daran änderten auch gelegentliche Attacken seitens der deutschen Literaturkritik nichts, die Hesse Provinzialität, Kitsch und Sentimentalität vorwarfen, vom „wackeren Steppenwolf“ oder „literarischen Gartenzwerg“ schrieben. Er selber reagierte zumeist gelassen auf solche Angriffe, er kannte sie in vielerlei Variationen, solange er lebte.

Zum diesjährigen Hesse-Jubiläum sind zahlreiche Bücher erschienen, die sich Leben und Werk des Schriftstellers widmen, darunter eine Biografie von Heimo Schwilk, der erst vor wenigen Jahren ein vorzügliches Jünger-Buch vorgelegt hat. Der Biograf setzt seine Lebensbeschreibung Hesses mit dessen Flucht aus dem Kloster Maulbronn im Jahre 1892 ein, vom Großvater ironisch kurz „Geniereisle“ genannt. Der Seminarist hatte es dort lediglich sieben Monate ausgehalten, in seiner Erzählung „Unterm Rad“ von 1906 schildert er die „schwarze Pädagogik“, der er aber dort vermutlich gar nicht ausgeliefert war. Schwilk zeichnet insgesamt ein Hesse-Porträt, das sich am besten unter der Doppelbegrifflichkeit „Dichten und Dienen“ fassen lässt. Sie weist auf die pietistische Erziehung im Elternhaus gepaart mit Weltoffenheit durch die Missionsarbeit der Eltern in Indien hin. Hesse, so Schwilk, lehre uns, dass die Menschen jenseits aller Ideologien sich nur einer tragfähigen Bindung versichern können: der Treue zu sich selbst. Dies halte sich in Hesses Werk durch, beginnend mit seinem „Hermann Lauscher“, sich fortsetzend im „Steppenwolf“ und „Siddhartha“ bis hin zum späten „Glasperlenspiel“. Heimo Schwilk zeigt sich hierbei als profunder Hesse-Kenner, der vor allem durch sein erzählerisches Vermögen überzeugt.

Dem pietistischen Ethos des Schriftstellers ist wohl das Büchlein „Hermann Hesse antwortet… auf Facebook“ geschuldet, das der Suhrkamp Verlag als hochdosiertes Vademecum für Hesse-Fans veröffentlicht hat. Ob Hermann Hesse, hätte es Facebook zu seiner Zeit schon gegeben, über dieses Medium seinen Lesern geantwortet hätte, wissen wir nicht. Die Idee seines Verlages jedoch hat unbestritten viel Resonanz gefunden. Viele Leser, alte und junge, haben auf Facebook ihre Fragen und Kommentare „geposted“. So ist ein gelungenes Bändchen mit interessanten Fragen an und Antworten von Hermann Hesse entstanden, das die Redaktion des Verlages aus seinen Texten zusammengestellt hat. Eine Fundgrube für jeden, auch den, der Hesse noch nicht kennt.

Gunnar Decker ist ein Hesse-Forscher der jüngeren Generation. Mit langem Atem führ er uns durch Leben und Werk Hesses vor dem Hintergrund der epochalen Zeitenwenden, in die sie hineingestellt waren. Geht Heimo Schwilk von der Doppelbegrifflichkeit „Dienen und Dichten aus“, so nutzt Gunnar Decker das Motiv des Doppelgängers, dem er bei Hesse nachspürt, in „Klein und Wagner“, „Narziss und Goldmund“, im „Demian“ und „Glasperlenspiel“. „Mit dem Doppelgängermotiv“, so Decker, „das seine innere Zerrissenheit spiegelt, antwortet Hesse auf die Verwerfungen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.“ Das meint auch der Untertitel dieser Biografie, „Der Wanderer und sein Schatten“, ein Wort Nietzsches aus „Menschliches, Allzumenschliches“. Der Doppelgänger weicht nicht von Hesses Seite, es ist der Dämon der Zerstörung, auch der Selbstzerstörung, er muss in einem lebenslangen Kampf in jedem schöpferischen Akt neu überwunden werden. Deckers fulminante und voluminöse Lebens- und Werkdeutung ist die vielleicht eindrucksvollste Neuerscheinung im Hesse-Jahr.

Den privaten Hermann Hesse lernen wir in Bärbel Reetz’ „Hesse und die Frauen“ kennen. Hesse war dreimal verheiratet, die zweite Ehe mit Ruth Wenger hat er weitgehend verschwiegen. Sein erster Biograf Hugo Ball hat sie 1927 auf Weisung Hesses einfach „unterschlagen“. Seine erste Ehefrau, Maria Bernoulli, lernte der junge Dichter 1902 in Basel kennen. Sie war elf Jahre älter als Hesse. Mia war während ihrer Ehe, drei Söhne wurden geboren, weitgehend auf sich allein gestellt. Hesse entzog sich immer wieder durch Kuren, Reisen, Klinikaufenthalte und die beginnende Psychoanalyse bei J. B. Lang und später bei C. G. Jung. In der dreijährigen Ehe-Episode mit der elf Jahre jüngeren Ruth Wenger wurde kein gemeinsamer Hausstand geführt, ein Familienleben auf Koffern, im Jahr der Scheidung erschien „Der Steppenwolf“. Die dritte Ehe mit Ninon Ausländer, die Hesse bereits als junges Mädchen Briefe schrieb, hielt, unter weitgehender Selbstaufgabe und völliger Unterordnung Ninons. Diese erste Biografie über die drei Ehefrauen Hesses werfen auch neue Facetten auf seine Persönlichkeit und relativieren die Legende des weisen Alten vom Berge.

Diese wird vor allem durch Bilder genährt, die wir vom alten Hermann Hesse in seinem Garten in Montagnola kennen. Volker Michels hat einen wunderschönen Insel-Band mit Betrachtungen, Briefen und Gedichten Hesses zum Thema „Freude am Garten“ neu zusammengestellt. Es sind Kontemplationen und Meditationen, die dem abstrusen Weltlauf die Ruhe der Seele entgegenhalten, Annäherungen an das Glasperlenspiel.

Zuletzt sei noch auf einen literarischen Reiseführer „Mit Hesse von Ort zu Ort“ hingewiesen, den Wilfried Setzler in bereits bewährter Manier verfasst hat. Wie kaum ein anderer Autor blieb Hesse der Heimat seiner Kindheit und Jugend verbunden. Obwohl er mehr als die Hälfte seines Lebens von 1919 bis 1962 in Montagnola verbracht hat, durchziehen die in Basel, Calw, Gaienhofen, Göppingen, Maulbronn oder Tübingen gewonnenen Erfahrungen sein Werk. Setzler hat einen schwäbisch-alemannischen Cicerone geschrieben, der zum Reisen und Wandern einlädt, jedoch auch zu Hause als biografische Erzählung gelesen werden darf.

Titelbild

Volker Michels (Hg.) / Hermann Hesse: Freude am Garten. Betrachtungen, Gedichte und Fotografien.
Insel Verlag, Berlin 2012.
200 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783458175452

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das Leben des Glasperlenspielers.
Piper Verlag, München 2012.
432 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783492053020

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Gunnar Decker: Hermann Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. Biographie.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
700 Seiten, 27,90 EUR.
ISBN-13: 9783446238794

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Hermann Hesse: Hermann Hesse antwortet … auf Facebook.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
8 Seiten, 5,00 EUR.
ISBN-13: 9783518463765

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Bärbel Reetz: Hesses Frauen.
Insel Verlag, Berlin 2012.
426 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783458358244

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Wilfried Setzler: Mit Hesse von Ort zu Ort. Lebensstationen des Dichters in Baden-Württemberg.
Silberburg Verlag, Tübingen 2012.
216 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783842511651

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch