„Ich suche einen Geist.“

Marie Pohl sucht in ihrem neuen Buch „Geisterreise“ nach dem Übersinnlichen

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit „Maries Reise“ veröffentlichte die junge Schriftstellerin Marie Pohl vor zehn Jahren ein Buch, in dem sie ihre eigene Generation porträtierte. Sie begab sich auf die Suche nach den interessantesten Vertretern ihrer Generation und fand diese in sieben Städten rund um den Globus.

Nun hat die Autorin erneut eine Reise unternommen, deren Ziel, anders als in ihrem ersten Buch, nicht als klares Postulat formuliert wird. Kubanische Zigaretten vor der Tür ihrer Berliner Wohnung sind für Marie das Zeichen, ihre Koffer erneut zu packen. Sie macht sich wieder auf den Weg, doch beginnt ihre Reise dieses Mal „mit einem Sturz“: Sie reist nach Kuba, um ihre große Liebe wiederzusehen und kommt pünktlich zu der Hochzeit des jungen Mannes an.

Trotzdem bleibt Marie in Kuba, lernt den „Vater des Salsa“, den betörenden Hüftschwung des Son Cubano kennen und trifft Ronal, einen schönhändigen Rasta, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, junge Touristinnen in seinen Bann zu nehmen. Er führt sie in die Welt der Orishas des Santería-Glaubens ein. Marie wird Zeuge eines Rituals, aus dem sie mit einem blutbefleckten Kleid, von ihrer Vergangenheit gereinigt und mit dem Wissen um das Rätsel der Afrikanische Königin hervorgeht. Die Afrikanischen Königin werde ihr helfen, ihr Glück zu finden, so die Weissagung der Santería-Priesterin. Maries Suche nach dem Spirituellen und Unsichtbaren, nach dem, woran Menschen glauben, zu dem sie beten und was sie vergöttern, beginnt.

Irland, Ghana, Mexiko, die Grenze zwischen Belgien und Deutschland, Bali und New York sind die Stationen ihrer Reise. In dem einsamen irischen Landgut scheint Marie mit den Geistern des Hauses in Einklang zu leben. Obwohl man sich in der Gegend die schauerlichsten Geschichten über die unsichtbaren Bewohner des alten Hauses erzählt, reist Marie weiter, ohne einen von ihnen gesehen zu haben. In Ghana versucht Marie die Kraft eines Fetisch-Priesters zu erkennen, hofft seine Zwergengehilfen zu sehen und lernt ein neues Zeitgefühl kennen, „als habe jemand die Bildfolge meines Lebens auf slightly slower gestellt.“

Getrieben von dem Verlangen, das Spirituelle zu erfassen, erklimmt sie in Mexiko einen Vulkanberg, in dem Zauberkräfte schlummern. An der Grenze zwischen Deutschland und Belgien interviewt sie einen Zauberer, für den Zauberei bedeutet, „das Unmögliche zu tun“. In New York schließt sie sich einem Team von Geisterjägern an und erliegt schließlich in Bali dem Dengue-Fieber, das ihrer balinesischen Freundin Cucu zufolge ein Fluch ist, der über Marie verhängt wird, nachdem sie, in der Hoffnung die Friedhofsgöttin Durga zu sehen, einen einsamen Tempel aufsucht. Genesen und wieder zurück in New York, findet sie schließlich die Afrikanische Königin. Pupy, ein kubanischer Santero, den sie früher schon mehrfach in New York getroffen hat, erkennt, wer die Afrikanische Königin wirklich ist: „Das bist du!“ Die Afrikanische Königin, ein Geist, nach dem Marie auf ihrer weiten Reise gesucht und gesucht hat, saß die ganze Zeit auf ihrer Schulter.

Die Erzählerin Marie, die der Autorin so nahe ist, dass die Grenze zwischen den beiden verwischt, sucht nach dem Jenseitigen und findet das Diesseitige: Menschen mit Schicksalen und ihrem Glauben an jene Geister, die symbolisch für die existentiellen Dinge des Lebens stehen, wie die große Liebe, Freunde, Familie, Individualität und Freiheit.

Marie begegnet auf ihren Reisen Gefahren, sie überschreitet Grenzen und lernt sich in Situationen höchster Intensität immer wieder selbst kennen. Dabei überzeugt sie durch ihre gewohnt unbedarfte, fast naive Neugier und ihren grenzenlosen Mut, sich auf das Neue und Unbekannte einzulassen. Maries Suche schickt sie auf Reisen, die manchmal wie Träume wirken, aus denen sie selbst erst erwacht, wenn sie am Flughafen steht und das nächste Ticket schon in der Hand hält.

Der Erzählstil der Geistergeschichten, die zugleich Reiseberichte sind, variiert je nach Stimmungs- und Gefühlslage der Erzählerin zwischen einem leichten und schwebenden Ton in Situationen, in denen sich Marie wohl und geborgen fühlt und einem Ton, der diffus und gehetzt wirkt und die Unzufriedenheit der Protagonistin wiederspiegelt. Marie Pohl zeigt ihren Lesern die Schönheiten, die Zauber und Schrecken der Welt und öffnet mit einer erstaunlichen Sensibilität die Sinne für das Nicht-Fassbare.

Titelbild

Marie Pohl: Geisterreise.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
330 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783100590237

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