Was Macht und Raum verbindet

Ein Sammelband in englischer Sprache wirft Schlaglichter auf ein wichtiges Thema

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Kulturwissenschaften hat es seit dem sogenannten ‚Spatial Turn‘ vor rund 20 Jahren zahlreiche Arbeiten etwa zu Fragen des geografischen, künstlerischen oder imaginären Raumes gegeben. Dass Bauwerke von den Pyramiden über Schlösser bis hin zu Denkmälern, die ja nur wegen ihrer Symbolik überhaupt errichtet werden, auch etwas mit Macht und Gegenmacht zu tun haben, liegt auf der Hand. Dennoch gibt es zweifellos unerforschte Raumkonzepte, die mit Machtansprüchen, Machtmissbrauch oder auch Machtkritik in Verbindung gebracht werden können; einigen davon widmet sich der vorliegende Band.

Um es vorweg zu nehmen: Wie viele Sammelbände ist auch dieser in der Qualität seiner Beiträge sehr unterschiedlich und in dem, was die Beiträge an Themen abdecken, eher disparat; darüber kann die Einteilung des Bandes in „Kapitel“ („Chapter“) nicht hinwegtäuschen. Das mag auf den ersten Blick enttäuschen, doch entfaltet die beinahe schon willkürlich anmutende Zusammenstellung eine eigene Faszination, weil die Beiträge immerhin darin übereinstimmen, dass sie auf ganz aktuelle Fragen eingehen, und weil sie eher ungewöhnliche Räume vorstellen und interpretieren.

Die Einleitung ist weder lang noch kurz ausgefallen, sie gibt die zentralen Begriffe vor und es wird klar, dass das gewählte Thema hauptsächlich aus der Perspektive von Soziologie und Ethnologie behandelt werden wird. Während die Einleitung solide und überzeugend wirkt, konnte der Rezensent bei der Lektüre des ersten Beitrags, ebenfalls von der Herausgeberin verfasst, kaum noch mit dem Kopfschütteln aufhören. Hier wird so etwas wie eine neomarxistische Perspektive eingenommen, ohne sich dafür bei der politischen Theorie abzusichern. Mit Blick auf Messen und andere Veranstaltungen rund um die Kunst versucht die Autorin ihre These zu belegen, dass künstlerische Kreativität heute ausschließlich den Marktgesetzen und somit dazu dient, herrschende Machtverhältnisse zu stützen. Subversive Kunst scheint also, sollte es sie jemals gegeben haben, ausgestorben zu sein.

Die weiteren Kapitel entschädigen aber jene LeserInnen, die sich von solchen – vorsichtig formuliert – sehr einseitigen Thesen nicht haben abschrecken lassen, auch wenn sie oft eher zum Weiterdenken anregen als dass sie konkrete Ergebnisse vorstellen. Penelope Harvey zeigt auf ihrem Streifzug durch Peru, wie Beton in die Bauweise Einzug gehalten hat und verwendet wird, um große und kleine Machtansprüche von nationalen oder lokalen Institutionen zu unterstreichen. Hier wäre es interessant gewesen, auch auf die Probleme einer solchen Bauweise einzugehen, etwa die oft schlechte Qualität des Betons oder verfehlte Einsatzbereiche – so gibt es in Gegenden mit hohen Temperaturen regionale Baustoffe, die eine viel bessere Energiebilanz aufweisen und in jeder Hinsicht umweltfreundlicher sind. Der großflächige Gebrauch von Beton hat auch in Westeuropa noch etwas Monumentales, das kritisch zu hinterfragen wäre.

Miles Glendinning beschäftigt sich mit dem Sozialwohnungsbau und anderen Projekten, die entworfen wurden, um möglichst vielen Menschen in kurzer Zeit und für wenig Geld ein Dach über dem Kopf zu bieten. Der Fokus liegt vor allem auf britischen Bauprojekten, allerdings wird nicht ganz klar, wie der Autor die vor allem behandelte Nachkriegsarchitektur nun genau einschätzt. Interessant wäre es auch gewesen, etwas über Bauprojekte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu erfahren, denn hier war England, als Wiege der Industrialisierung, Vorreiter bei der Entwicklung von Wohnungen und Reihenhäusern für Arbeiter, die mehr als nur Wohnraum bedeuteten, nach dem bekannten Motto ‚my house is my castle‘.

Der aus Sicht des Rezensenten überzeugendste und interessanteste Beitrag stammt von Don Handelman, emeritierter Professor für Anthropologie der Hebrew University in Jerusalem. Es ist verblüffend, wie präzise Handelman den roten Faden in der Entwicklung dieser Stadt seit dem Sechstagekrieg herauspräpariert und dabei nachweist, wie massiv die großen repräsentativen Bauwerke den israelischen Führungsanspruch in der Region untermauern. Sogar das Holocaust-Museum und ein in das ehemalige innerstädtische Grenzgebiet gebautes Einkaufszentraum sind wie riesige Mauern angelegt, die Wehrhaftigkeit und Verteidigungsbereitschaft des israelischen Staates an alle Betrachter kommunizieren.

Über die „Körperwelten“ – die Ausstellungen konservierter Körper in Europa, vor allem in Deutschland – reflektiert Uli Linke eher weitschweifig. Wer möchte ihm widersprechen, wenn er feststellt, dass das Ausstellen toter Menschen, die möglicherweise Krieg und Gewalt erfahren haben, mehr als pietätlos ist und dass es nicht eben für Sensibilität spricht, dass Millionen von Menschen sich solche Körperschauen angesehen haben. Andererseits wird suggeriert, ohne es direkt auszusprechen, dass diese Unsensibilität bei den Deutschen auf den Holocaust zurückgeht – damals hätten die Alliierten erfolglos versucht, bei den Tätern Mitleid zu erregen und sie eher in ihrer Rolle als ‚Opfer‘ bestärkt. Da wäre sie also wieder – die Kollektivschuldhypothese vom abgrundtief bösen Deutschen, wobei angesichts des impliziten Vergleichs sogar jüngeren Generationen unterstellt wird, sich nicht von den Eltern oder Großeltern zu unterscheiden. Die Deutschen haben also offenbar qua Geburt eine Disposition zu Grausamkeit und Mitleidlosigkeit. Zu solchen ‚Ideen‘ erübrigt sich jeder Kommentar.

Dass Körper nicht einfach nur physisch gegeben sind, sondern sozial konstruiert werden, greift Laura Verdi in ihrem fundierten Beitrag auf, der sich als kleine Einführung in ein wichtiges Thema empfiehlt, ohne ihm einen besonderen, neuen Aspekt abgewinnen zu können. Allen S. Weiss beschreibt sehr anschaulich seine ‚Lektüre‘ eines ZEN-Gartens und die Veränderungen in der Wahrnehmung, die sich in solchen Anlagen selbst durch Kleinigkeiten wie ein scheinbar achtlos herumliegendes Blatt ergeben. Hier ist eine andere Wahrnehmung gefragt, die dabei helfen kann, die alltägliche Wahrnehmung zu hinterfragen.

Im Schlussbeitrag setzt sich Dinesan Vadakkiniyil mit einem Ritus in einer indischen Region auseinander, der im Bewusstsein der TeilnehmerInnen die Grenzen sozialer Identität zumindest zeitweise überwinden hilft. So geht es einem auch mit der Lektüre dieses Bandes – er eröffnet interessante Perspektiven, selbst wenn er immer wieder Bekanntes rekapituliert und manchmal jene Bodenhaftung verliert, die nicht produktive neue Einblicke, sondern eher Verzerrungen und sogar überkommene Vorurteile zur Folge hat. So sollten nicht nur die Inhaber von ökonomischen und politischen Machtpositionen, sondern auch ihre Kritiker erkennen: Gestaltete Räume bedeuten etwas, zweifellos – aber nicht unbedingt das, was man ihnen zuschreiben möchte.

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Judith Kapferer (Hg.): Images of Power and the Power of Images. Control, Ownership, and Public Space.
Berghahn Books, New York 2012.
155 Seiten, 27,00 EUR.
ISBN-13: 9780857455147

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