Eine deutsch-türkisch-serbische Familiengeschichte

Pia Ziefles Roman „Suna“ erzählt von Liebe, Leid und schwierigen Entscheidungen

Von Heike HendersonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Henderson

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kizim. Meine Tochter. Mit diesem türkischen Wort beginnt der Roman. Und die Tochter ist der Anlass für Sunas Suche nach ihren Wurzeln. Das Kind schläft wenig und schreit viel, und als der Arzt nach ihrer Familiengeschichte fragt, merkt sie, wie wenig sie über ihre leiblichen Eltern weiß. Ein Jahr später plant sie ihre erste Reise in die Türkei und erzählt ihrer Tochter, was sie über ihre Familie herausgefunden hat. Und in diesen Geschichten kommt das Buch in Gang und zieht die Leser in seinen Bann.

Die Ich-Erzählerin selbst hat viele Namen: Marina, der Name, den ihre serbische Mutter ihr gleich nach der Geburt gegeben hat und der auf ihrer Geburtsurkunde steht. Luisa, der Name, den sie von ihren deutschen Adoptiveltern bekommen hat, und der in allen anderen offiziellen Dokumenten steht. Und schließlich Suna, der Name, den ihr türkischer Vater ihr gegeben hat, als er dachte, dass sie nicht mehr lebte.

Um besser zu verstehen, warum ihre Vorfahren so sind wie sie sind, und die Entscheidungen trafen, die sie getroffen haben (und die ihr Leben so maßgeblich beeinflusst haben), muss Suna weit zurückgreifen: bis in die Zeit des zweiten Weltkriegs, als ihre Adoptivmutter ein junges Mädchen war. Vergangene Geschichten, so lernt die Erzählerin, entfalten ihre Wirkung – ob man sie betrachten will oder nicht, und selbst wenn man seinen Vorfahren noch nie persönlich begegnet ist.

Die Geschichten, die Suna erzählt, verknüpfen von ihren Familienmitgliedern persönlich Erlebtes mit der Geschichte Deutschlands, Jugoslawiens und der Türkei. Die Leser lernen dabei wie ganz nebenbei einiges über diese Länder, und über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ersten Migrantengeneration.

Eingestreut in die Geschichten über ihre Vorfahren sind die Erinnerungen der Erzählerin an ihre eigene Vergangenheit, so zum Beispiel die Zeit als sie Mitte 20 war, wütend Theaterstücke schrieb und Angst davor hatte, wegen ihres fremden Aussehens nach ihrer Berechtigung, in Deutschland zu sein, gefragt zu werden.

Was den Roman jedoch vor allem auszeichnet, ist die Tatsache, dass die Autorin sich nicht scheut, komplizierte Fragen zu stellen – wie zum Beispiel die Frage danach, wie eine Mutter ihr Kind gleichzeitig lieben und zur Adoption freigeben kann. Und die Frage danach, ob es kulturelle Unterschiede im Umgang mit Familienangehörigen gibt, oder ob unterschiedliches Verhalten vor allem durch ungleiche ökonomische Ausgangsbedingungen zu erklären ist.

Ziefle erzählt von der Liebe zwischen Menschen, die aus verschiedenen Kulturen kommen und ein Leben unter schwierigen Bedingungen meistern müssen, und sie fragt nach der Bedeutung von Heimat: was bleibt, wenn man die Heimat verlässt oder verlassen muss, was kann man da noch weitergeben außer Geschichten? Und was bedeutet es, deutsch zu sein? Muss man wissen, wo man herkommt, um zu wissen, wo man hinkann? Welche Rolle spielt der Krieg, der von damals und der von heute, machen persönliche Beziehungen den Balkankrieg relevanter, und muss oder soll das immer so sein? Kann ein Mensch mehr sein als seine Geschichte?

Der Roman beschreibt eine Suche nach Wurzeln, die die Leser in ihren Bann zieht und Lust auf mehr Geschichten macht. Vielleicht sollten wir alle versuchen, die Geschichten unserer Vorfahren zu ergründen, egal wo sie herstammen.

Titelbild

Pia Ziefle: Suna. Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2012.
302 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783550088926

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