Kein Haus ohne Hüter

Bodo Plachta führt in die Aura von Dichtergedenkstätten ein

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Provinz Toledo gibt es ein Dulcinea-Haus: Es ist merkwürdig, wundert sich Cees Nooteboom, „das Haus von jemand zu betreten, den es nie gegeben hat“. So weit ist der Germanist Bodo Plachta in seinem wunderbar einführenden Band über „Dichterhäuser“ nicht gegangen. Er beschränkt sich auf eine Tournee durch die 50 schönsten und wichtigsten Gedenkstätten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und bietet dem Leser so nicht nur eine sorgsam konzentrierte Darstellung musealisierter Erinnerung an real existierende deutschsprachige Dichtergrößen. Er lädt auch dazu ein, diese Erinnerungsorte selbst zu erfahren, wobei das Adressverzeichnis und die Literaturhinweise am Ende des Buches gute Dienste leisten.

Schon Heine, so Plachta, suchte 1831 in Molières Pariser Haus nach „Spuren des irdischen Wandels“, in der Lutherstube verewigten sich Besucher an der Decke und an der Türe. Mit dem Weimarer Schillerhaus, das 1847 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, begann der Aufschwung der Dichterhauskultur. Kaum ein Autor der Literaturgeschichte von Rang, der heute ohne geografischen Gedenkort ist. Das Interesse der Nachwelt an handfesten Blicken hinter die Kulissen des Werkes, die Neugier auf den ,Sitz im Leben‘ des Dichters ist ungebrochen: Wo hat er geschlafen und vor allem wo gearbeitet, wie sah sein Schreibtisch aus und wie groß war eigentlich seine Behausung?

Jedes Kapitel öffnet einen anderen Raum: Jean Paul wechselte sein Bayreuther Domizil siebenmal, das Jean-Paul-Museum steht indessen (seit 1980) in der ehemaligen Villa der Wagner-Tochter Eva. Eine „befremdliche Nachbarschaft“, kommentiert Plachta: Aus dem Schatten Richard Wagners herauszutreten ist schwer. Zwei Große an einem Erinnerungsort, das kann nicht gut gehen. Gegenüber Gerhart Hauptmann, dem meistfotografierten Autor seiner Zeit, musste der Hiddensee-Urlauber Thomas Mann den kürzeren ziehen. Dort das Buddenbrookhaus in Lübeck, hier das Hauptmann-Haus in Kloster Hiddensee, dem „baltrischen Capri“ (Grass): Ausnahmen, wie Grabbe, Freiligrath und Weerth in Detmold oder Goethe, Schiller und Nietzsche in Weimar, bestätigen diese Regel.

Ernst Jüngers Bibliothek, sein Schlaf- und Arbeitszimmer in der zur Gedenkstätte gewordenen Oberförsterei in Wilfingen, in dem er 103jährig starb, sind ebenso weitgehend originalgetreu erhalten wie Brechts letzte Wohnung in der Chausseestraße 125 gegenüber des Dorotheenstädtischen Friedhofs. Auch der Bauernhof von Thomas Bernhard in Ohlsdorf ist zu einem veritablen Dichterhaus geworden. Der Autor finanzierte den steingedeckten Vierkanthof mit dem Bremer Literaturpreis und behauste ihn als „Anarchist nach Gutsherrenart“. Das Haus als Eingangsportal zum Werk zu benutzen, wird allerdings im Falle Bernhards fraglich: „Mein Hof verbirgt, was ich tue“.

Goethes Gartenhaus an der Ilm, das Kleistmuseum in Frankfurt/Oder und das Heine-Institut in Düsseldorf, das sich lange schwer tat mit dem Erbe seines Sohnes und heute Museum, Archiv, Bibliothek unter einem Dach vereinigt, fehlen ebenso wenig wie die Villa Aurora am Pazifik mit Feuchtwangers immenser Bibliothek und die „Villa Shatterhand“ in Radebeul, mit der sich Karl May schon zu Lebzeiten ein Denkmal setzte. Wer Vollständigkeit sucht, die hier aber gar nicht intendiert ist, wird vielleicht an das Böll-Haus in Langenbroich denken, das hier fehlt, vielleicht auch an das Stefan-Andres-Archiv in Schweich an der Mosel. Stoff für weitere Geschichten gibt es in Fülle; das Benn-Hotel in Berlin hat mit dem 1956 verstorbenen Dichter nur den Namen gemein, im Lüneburger Böll-Haus steckt ein umweltpolitisches Aktionszentrum. Auf berühmte Dichter kann man offenbar vielfach bauen.

Bodo Plachtas Dichterhausbesuche sind Kabinettstücke einer Literaturgeschichte des Raumes, in dem wir die Zeit lesen können, aus der ein Dichter kommt, und die Zeit, die ihn zu verstehen sucht. Eingefrorenes Bild oder lebendiges Erbe, musealisierter Erinnerungsort oder Forschungsstätte, so lauten die billets d’entrée zu den Dichterhäusern. Und auch die Romanfiguren lässt Bodo Plachta durch einen Nebeneingang hineinschlüpfen: Im Lottehaus in Wetzlar ist die Wohnkultur einer kinderreichen Amtmannsfamilie im 18. Jahrhundert illustriert, das nicht weit entfernte Jerusalemhaus ist Karl Wilhelm Jerusalem, dem Vorbild von Goethes unglücklichem Werther, gewidmet. Ein „buchenswertes Ereignis“ (Thomas Mann) in einem sehr lesenswerten Buch.

Titelbild

Bodo Plachta: Dichterhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Reclam Verlag, Stuttgart 2011.
283 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783150202395

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