Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

„Die Betrogenen“, das literarische Debüt von Michael Maar, überzeugt nicht auf ganzer Linie

Von Kristy HuszRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristy Husz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Cover prangt das Hinterteil einer mysteriösen Dunkelhaarigen in hautenger Feuerwanzenwarntracht. Die schwarz-roten Krabbler sind für ihre Geselligkeit und einen exzessiven Fortpflanzungstrieb bekannt, an ihnen wurde außerdem das X-Chromosom entdeckt. Gedanken an das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit drängen sich auf. Andere Kerbtier-Assoziationen gesellen sich dazu, zu ägyptischen Skarabäen, Vladimir Nabokovs Schmetterlingsleidenschaft, dem nachtfalterversiegelten Frauenmund auf einem berühmten Filmplakat. Täuschen und Tarnen, Metamorphose und Mimikry gibt es, wie Michael Maars Debütroman „Die Betrogenen“ suggeriert, nicht nur im Insektenreich: Sie gehören offenbar auch zum Standardrepertoire des deutschen Literaturbetriebs.

Hinter dem Titel und der Dame auf dem Schutzumschlag wird der Blick auf ein Lug-und-Trug-Bild frei, das der mittelmäßige Schreiberling Karl gerne groß mitgestalten würde und das ihn doch bloß als Einfaltspinsel entlarvt. Rund um Karl, seines Zeichens ziemlich notgeiler Literaturagent, tummeln sich ein Potenzprotz und in die Jahre gekommener Schriftsteller, ein Garstigkeiten absondernder Autorrivale, eine aufgeplusterte Agenturchefin, ein patenter polnischer Handwerker sowie zwei mitten unter apartem „Konzeptionsquark“ wohnende Galeristinnen. Am Anfang reist Karl mit dem Zug zu einer Beerdigung; am Schluss wird er es wieder tun.

Mit Stereotypen seiner eigenen Zunft hat der Germanist und Literaturkritiker Maar nicht gegeizt, und so wirkt alles Treiben zwischen den beiden Bestattungsterminen, als wäre es dem Lexikon der Kulturschaffenden-Klischees entnommen worden: Man lebt – natürlich – in Berlin, isst nicht einfach einen Happen, sondern nimmt „eine kleine Kollation“ zu sich, seziert Opernarien, besucht Preisverleihungen, giert nach „Perlenschalen des Lobs“, reagiert sensibelst auf Kritik und stichelt bei jeder Gelegenheit gegen die Konkurrenz. Und ist in Wirklichkeit ganz menschlich und gar nicht so eitel und elitär, wie es den Anschein hat. Oder?

Als Spross einer Künstlerfamilie, als preisgekrönter Essayist und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung kennt Maar die Welt, die er schildert, sicherlich genau. Deshalb hätte man sich allerdings auch eine bissigere Persiflage – man denke etwa an die clevere Schickeria-Satire „Kir Royal“ – oder mehr Tiefgang gewünscht. Stattdessen besteht der tragischste Moment des Buches darin, dass sein Hauptakteur eine wichtige Pointe verpasst. „Because something is happening here / But you don’t know what it is / Do you, Mister Jones?“, könnten Bob Dylan und alle, die den Taschenspielertrick durchschaut haben, diesen lahmen und blinden Helden mit Recht fragen. Und während Karl bei „Così fan tutte“ über die „Farce dieses Plots“ grübelt oder in anderem Kontext darüber philosophiert, wie kurzsichtig eine einzige falsche Prämisse machen kann, staunt der Leser dann doch darüber, wie viele metafiktionale Spuren der Trickster Maar auszulegen versteht. Dazwischen stolpert man aber auch über Stilblüten wie diese: „der Kegel war konisch“.

Michael Maar, das wird während der Lektüre dennoch deutlich, hat sein Auge an den Großen, an den Finessen und Finten eines Proust oder Nabokov geschult. Nicht wenige Details seines Erstlings spiegeln das literarische Universum Thomas Manns. Bei dem glaubt man vieles irgendwie schon einmal gesehen zu haben, den Titel zum Beispiel, die sprechenden Namen, die grimassierenden Blumenverkäufer und Restaurantbesitzer, die Bleistifte mit Eigenleben, die zentrale Rolle der Musik, die mit einer abreisenden Frau verbrachte Walpurgisnacht, den naiven Durchschnittsbürger, welcher zwischen Bittner und Manteuffel, Pardon, Settembrini und Naphta zerrieben wird, die kleinen parodistischen Leitmotive, „odrr“?

Am Ende bleiben vor allem zwei Dinge in Erinnerung: die gestelzt daherkommende Figurenrede, die im Verlauf der Geschichte zunehmend Nervpotenzial entwickelt, und eine üppig wimmelnde Fauna, die Karl auf Schritt und Tritt innehalten und über das Leben sinnieren lässt. Alles, so scheint es, kann hier im Blumenberg’schen Sinne „bedeutsam“ werden, sei es der Flug einer Schwalbe, das Hämmern eines Spechts oder der Panzer eines Marienkäfers. Letztlich sollte man dieses Debüt, das kein Schlüsselroman sein will, kein Opus magnum und keine „Kulturgeschichte des Verrats“, also als das lesen, was es ist – eine nette, vielleicht etwas gewollt komponierte Erzählung.

Titelbild

Michael Maar: Die Betrogenen. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
143 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783406639531

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