Neues aus dem Zeitalter der Angst

Wie Richard Yates den Weg zurück in den Buchhandel fand und warum er bleiben wird

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Dies ist das Rätsel um Richard Yates: Wie kann ein Autor, der bei seinen Kollegen derart anerkannt und sogar geliebt war, ein Autor, der fähig ist, seine Leser so tief zu bewegen, praktisch vergriffen sein, und das in so kurzer Zeit? Wie ist es möglich, dass ein Autor, dessen Arbeiten die Verlorenheit des Zeitalters der Angst veranschaulichen, genauso treffend wie die Arbeiten von Fitzgerald es mit dem Jazz-Zeitalter getan haben, ein Autor, der Ikonen der amerikanischen Literatur wie Raymond Carver und Andre Dubus beeinflusst hat, ein Autor, der in seiner Prosa und der Wahl seiner Charaktere so gerade und direkt ist – wie kann es sein, dass ein solcher Autor jetzt nur noch über Sonderbestellungen oder am staubigen hinteren Ende im Erdgeschoss der Antiquariate, wo die Belletristik-Abteilung sich versteckt, gefunden werden kann?“

Richard Yates war Zeit seines Lebens zwar ein geachteter und gewiss nicht gänzlich vergessener Autor, jedoch galt er vielen als der typische writers writer – also als ein Autor, der zwar von Kollegen geschätzt und bewundert wird, dem jedoch die sonstige, breite Leserschaft fehlt. Sein heutiger Stellenwert hingegen wurde ihm erst posthum zuteil. Gewissermaßen dem Dornröschenschlaf entrissen wurde sein Werk durch den Artikel „Die verlorene Welt des Richard Yates. Wie der große Schriftsteller des Zeitalters der Angst aus dem Buchhandel verschwand“ des amerikanischen Schriftstellers Stewart O’Nan, dem auch das obige Zitat entlehnt ist. Zunächst 1999 in der Boston Review veröffentlicht (und dankenswerterweise auch 2004 auf Deutsch in der Zeitschrift „Krachkultur“ erschienen) folgte dem Essay eine neue Yates-Rezeption, die rasch auch Deutschland erreichte. Hierzulande widmet sich die Deutsche Verlags-Anstalt seit nunmehr zehn Jahren der allmählichen Publikation des Yates’schen Gesamtwerks. Jüngst erschienen sind in diesem Unterfangen die beiden Romane „Ruhestörung“ und „Eine gute Schule“ sowie, im Vorfeld des nahenden 20. Todestages Yates’ am 7. November, die erste deutschsprachige Biografie: „Der fatale Glaube an das Glück“ von Rainer Moritz.

Wem die typischen Figuren Yates’ bekannt sind, der wird auch in „Ruhestörung“ einen Typen à la Frank Wheeler aus „Zeiten des Aufruhrs“ wiederentdecken: Hier wird der Werbetexter John Wilder auf eine allmähliche Reise in den Niedergang geschickt. Zwar mag Wilder beruflich erfolgreich sein, eine liebende Frau und einen Sohn haben, doch er lässt sich durch Alkohol und sexuelle Eskapaden nach und nach in den Abgrund treiben. Einen ersten Höhepunkt des Zerfalls bedeutet die Einweisung Wilders nach einem Zusammenbruch in die psychiatrische Klinik. Dieser Aufenthalt in der geschlossenen Abteilung des New Yorker Bellevue Hospitals ist dabei zugleich die gelungenste Szene des Romans. Präzise zeichnet Yates die Krankenstation als eine wahre Hölle auf Erden: Ein kruder Mix aus Verbrechern und Verrückten, die durch Beruhigungsmittel betäubt werden, beherrscht die Szenerie, in der Ecke wartet die „Abspritzecke“ – und mittendrin darbt John Wilder, für dessen weitere Existenz dieser Akt geradezu ein Menetekel ist. In der Folge verfällt Wilder der deutlich jüngeren Pamela, will seine bedrückenden Erlebnisse verfilmen und rutscht durch all dies immer weiter in seinen ganz persönlichen Abgrund hinab. „Ordnung im Chaos finden – aber natürlich, das war es, was er sein Leben lang gewollt hatte.“ Stattdessen jedoch zerbröckelt Wilders Leben nach und nach und er findet in der ersehnten Ordnung lediglich immer neues Chaos, unterdessen das Glas Whiskey die einzig bleibende Konstante in seinem Leben ist.

Während in „Ruhestörung“ der Zerfall eines Einzelnen im Mittelpunkt steht, trifft es in „Eine gute Schule“ gleich eine ganze Institution: die von finanziellen Problemen geplagte Dorset Academy. Yates entwirft das Leben der letzten Schüler-Generationen und das Schicksal ihrer Lehrer. Während der Zweite Weltkrieg wütet, werden auch die Jungen mit paramilitärischer Disziplin gedrillt; schon hier schlagen die Trommeln des Krieges für sie. Im Mittelpunkt stehen jedoch das soziale Leben zwischen Sport, Sex und Männlichkeitsritualen – und damit letztlich auch die vielen kleinen und großen Gemeinheiten, die sich die Menschen gegenseitig beibringen. Als Hauptcharakter fungiert hier Yates’ Alter Ego William Grove, der sich im Laufe der Erzählung vom stillen Außenseiter, der das Opfer der Willkür älterer Gefährten wird, zu einer dominanten Persönlichkeit und dem selbstbewussten Chefredakteur der Schulzeitung wandelt. Doch nicht nur bei den Schülern stehen Betrug und physische wie psychische Gewalt auf der Tagesordnung: Auch in der Lehrerschaft herrscht ein alltäglicher Kampf. So betrügt etwa die Frau des behinderten Lehrers Jack Draper ihren Mann mit einem seiner Kollegen – was zu der zweifelsohne eindringlichsten Szene des Buches führt: dem kläglichen Selbstmordversuch Drapers. „Yates kennt kein Erbarmen mit seinen Figuren“, analysiert daher Rainer Moritz treffend in seiner Biografie. Mit „Eine gute Schule“ ist Yates ein eindrückliches Buch gelungen, hier versammeln sich zahlreiche seiner unvergesslichsten Charaktere. Letzten Endes geht auch die Dorset Academy den Weg alles Yates’schen: Auch sie schreitet zwangsläufig und unaufhaltsam auf den Abgrund zu und damit auch zahlreiche ihrer Schüler, die im Krieg fallen. „O Herr, o Herr, das Leben war doch das Letzte.“

Die realhistorische Ebene hinter diesen fiktionalen Schicksalen legt schließlich Rainer Moritz offen. Richard Yates’ Leben selbst reiht sich nahtlos in die Heimsuchungen seiner Figuren, problemlos könnte auch er eine Figur in einer Yates-Geschichte darstellen. Trotz des Debüt-Erfolges von „Zeiten des Aufruhrs“ brachte er es zu Lebzeiten nie zu dem gewünschten Erfolg und blieb ein Suchender – was nicht zuletzt auch seinen persönlichen Eskapaden geschuldet war: Er trank exzessiv wie sein John Wilder und durchlebte selbst infolgedessen mehrere Klinikaufenthalte, ruinierte sich durch das Kettenrauchen die Gesundheit, lebte in zwei Wheeler-gleichen Ehen und war als Kind Schüler an einer Akademie, die der „guten Schule“ Dorset frappierend gleicht. Diesen Parallelen zwischen Realität und Fiktion geschuldet, geht auch Moritz, der seit 2005 das Hamburger Literaturhaus leitet, seine Biografie sehr werkorientiert an. Durch die ausgiebigen Hinweise auf Stellen im Werk Yates’ macht er die realen Ereignisse hinter den Figuren Stück für Stück sichtbar und zeigt, „dass sich Yates in all seinen Werken an den Widrigkeiten seiner Existenz abarbeitete“. Zwar dürfen die Romane nicht als rein autobiografische Bekenntnisschriften gelesen werden, doch Moritz’ kluge und kenntnisreiche Analyse weist auf die erstaunlichen Gemeinsamkeiten hin. Er arbeitet ein genialistisches janusköpfiges Doppelwesen im Jekyll-Hyde-Stil heraus: hier der geniale Schriftsteller, dort der autodestruktive und zu Aggressionen neigende Trinker. Nicht nur für seine Figuren, auch für Yates selbst gab es „einfach keinen Frieden auf der Welt, keine Schönheit, keine Luft zum Atmen, gar nichts“, wie es in „Eine gute Schule“ heißt.

Mittlerweile ist Richard Yates’ Bedeutung als Protokollant des „Zeitalters der Angst“ bekannt. Für seine Bücher könnte wohl kaum ein Motto treffender sein, als das Diktum F. Scott Fitzgeralds, das Yates seinem Roman „Eine gute Schule“ vorangestellt hat: „Rück mit dem Stuhl heran / Bis an den Rand des Abgrunds / Dann erzähle ich dir eine Geschichte.“ Sein von einem ebenso bedrohlich-unausweichlichen wie beeindruckenden Fatalismus getragenes Werk wird bleiben – im Buchhandel wie auch im Bewusstsein der Leser. Dass die Bücher Yates’ nun auch auf Deutsch publiziert werden, dafür ist der DVA nachdrücklich zu danken – und man darf gespannt warten auf die Übersetzungen der letzten beiden Romane „Young Hearts Crying“ und „Cold Spring Harbor“.

Titelbild

Richard Yates: Ruhestörung. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanisch-Englischen von Anette Grube.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010.
315 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783421043931

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Rainer Moritz: Der fatale Glaube an das Glück. Richard Yates - sein Leben, sein Werk.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012.
201 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421044525

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Titelbild

Richard Yates: Eine gute Schule. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Eike Schönfeld.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2012.
231 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783421043948

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