Vor Weimar

Thorsten Valk porträtiert Goethe als jungen Dichter

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie lange ist Goethe jung gewesen? Worin unterscheidet sich der junge vom späten und alten Goethe? Auf diese Fragen gibt der Band von Thorsten Valk, der als Referent bei der Stiftung Weimarer Klassik und Privatdozent an der Friedrich Schiller Universität Jena vom „Ereignis Weimar – Jena“ bestens unterrichtet ist, natürlich keine direkten Antworten. „Der junge Goethe“ ist ein mehr editionsgeschichtlich als biografisch legitimiertes Prädikat, bezogen auf die Werke, die Goethe bis 1776 verfasst hat. Valk schafft eine vorzügliche Grundlage zum Verständnis des Quellcodes, den diese Texte für die Dichtung und Ästhetik im 19. und 20. Jahrhundert geliefert haben.

Der von Goethe in den 1770er-Jahren maßgeblich initiierte und geprägte ideengeschichtliche und ästhetische Transformationsprozess lässt sich mit folgenden Stichworten umschreiben: die Entdeckung des modernen Subjekts und die Erfindung des bürgerlichen Individuums, auch im Zuge der „Leserevolution“ (Friedrich Schlegel) im späten 18. Jahrhundert, die Identitätskonstitution über mentale Abgrenzung, die Reflexion der Erfahrungsbeschleunigung in einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft, die Sprachschöpfungskraft, die Literatur als autonomes Laboratorium der Aufklärung, in dem Probleme formuliert, aber keine Lösungen angeboten werden (Werthers Selbstmord bleibt ohne moralische Bewertung), das Werk als Echoraum der Künstlerseele. Angesichts dieses epochalen Übergangs von „einer objektiven zu einer subjektiven Sinnstiftung“ wählt Thorsten Valk einen leserfreundlichen Zugang zu Goethes Frühwerken, indem er zunächst den ideengeschichtlichen und sozialgeschichtlichen Horizont der Zeit abschreitet (Aufklärung, Rokoko, Empfindsamkeit, Sturm und Drang) und sich dann das Werk vornimmt. Die Lyrik der Leipziger und der Straßburger Zeit, die Oden an Behrisch, die Natur- und Gefühlsgedichte, die volksliedhafte Lyrik (mit kleinen, feinen Interpretationen von „Maifest“ und „Heidenröslein“) sowie die großen Hymnen im Zeichen der Genieästhetik werden in kompakten Kurzkapiteln vorgestellt.

Unter den Dramen werden besonders „Götz von Berlichingen“, „Clavigo“, „Stella“ und die frühe Fassung des „Faust“ gewürdigt; aus guten überlieferungsgeschichtlichen Gründen unterbleibt die Bezeichnung „Urfaust“. Neben den „Werther“-Roman, dessen revolutionäre Grundzüge anschaulich beschrieben werden (Werthers Subjektivismus, seine Lektüren, sein Dilettantismus, Liebesidealismus und seine pathografische Melancholie), stellt Valk die kunsttheoretisch wegweisenden Schriften „Zum Shakespears Tag“ und „Von Deutscher Baukunst“. Das abschließende Kapitel geht auf die Wirkung von Goethes Frühwerken ein; die Gedichte hallen – aufgrund ihrer späten Publikationsgeschichte – in den Vertonungen von Breitkopf bis Schubert nach. Sehr hilfreich sind die Zeittafel am Ende des Buches und die kapitelbezogenen kommentierten Auswahlbibliografien.

Thorsten Valk legt ein überaus hilfreiches Kompendium zum jungen Goethe vor, ein Lehr- und Studienbuch, das reihengerecht in Epoche, Werk und Wirkung einführt und auch Goethes Weg in den klassischen Kanon zu verstehen hilft. Wichtige klassische Werke hatte der junge Goethe im übrigen schon in Frankfurt im Gepäck. Als er dort im Herbst 1775 auf die Kutsche des Herzogs wartete, die ihn nach Weimar bringen sollte, arbeitete er am „Egmont“.

Titelbild

Thorsten Valk: Der junge Goethe. Epoche - Werk - Wirkung.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
288 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783406638541

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