Heimkehr ohne Happy Ende

Über Dirk Brauns’ Debütroman „Im Inneren des Landes“

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eggesin. Allein der Ortsname der Garnisonstadt in Mecklenburg-Vorpommern weckt bei vielen, die dort als Rekruten der Nationalen Volksarmee der DDR ihren Wehrdienst ableisten mussten, extrem ungute Gefühle. So auch bei Stefan Brenner, einem der Protagonisten des Romans „Im Inneren des Landes“ von Dirk Brauns. Auf keinen Fall möchte dieser eine Geschäftsreise antreten, die ihn kurzfristig in den Ort seiner Militärzeit zurückführen wird. Doch es gibt kein Pardon vom Vorgesetzten für den erfolgreichen Prüfer von Autosalons. Gemeinsam mit einem Kollegen muss er wegen seiner „Ostkompetenz“ das Autohaus vor Ort testen, das ausgerechnet in den Gebäuden der ehemaligen Kaserne beheimatet ist.

Bereits auf der Fahrt dorthin werden die Erinnerungen an Eggesin wieder lebendig: Die Schikanen und der Drill durch die Schleifer, die im Namen des Sozialismus das selbständige Denken aus den Gehirnen ihrer Schützlinge zu verbannen suchten; der Selbstmord des besten Freundes Viktor, der dem Druck nicht mehr standhielt; die spätere Familiengründung ausgerechnet mit dessen Verlobter, die er bereits bei der Todesnachricht zum ersten Mal küsst. Doch vor allem der Gedanke an Ingo Kern lässt ihm keine Ruhe, zu sehr erfüllt ihn immer noch Wut und Abscheu gegenüber dem damaligen Offizier, macht er ihn doch schließlich für Viktors Tod verantwortlich.

Ingo Kern, der zweite Protagonist des Romans, ist nach der Wende aufgrund seiner Kenntnisse in „Personalführung“ weich gelandet und sitzt auf einem gutdotierten Posten bei der Deutschen Bahn. Nicht ahnend, dass Stefan Brenner auf dem Weg nach Eggesin ist und die längst überfällige Aussprache mit ihm sucht, holt er gerade seine letzten Kisten aus dem Familienheim, um mit einer jungen Geliebten ein neues Leben zu beginnen…

Ähnlich wie in Gabriel García Márquez’ „Chronik eines angekündigten Todes“ laufen die Geschicke der beiden Männer wie an unsichtbaren Fäden aufeinander zu. Dass dies nicht gut enden kann, lässt uns Autor Dirk Brauns gleich zu Beginn wissen: Lapidar berichtet eine Polizeimeldung in der Zeitung von einem Zwischenfall mit einer Waffe, nach dem zwei Männer spurlos verschwunden sind. Was genau geschah und wem der Schuss galt, das wird dem Leser erst am Ende des Romans gewahr werden. Vorher erfährt er aus der wechselnden Sicht der beiden Männer, wie die 24 Stunden vor dem alles entscheidenden Schuss ablaufen, der ihrer beider Schicksal besiegelt. Dabei lernen wir nicht nur die Beziehungen und Gefühle der beiden in ihrem jetzigen Leben kennen, sondern tauchen in gedanklichen Rückblenden der beiden Protagonisten ein in deren Vergangenheit, die ihr Leben bis heute prägt.

Wie in einer griechischen Tragödie entwickelt Brauns eine authentische, vielschichtige Geschichte um Schuld und Sühne, bei der er sich auf wohltuende Weise als Erzähler zurücknimmt, um dem Leser die Interpretationshoheit über die Erzählungen der Protagonisten zu überlassen. Sprachlich überzeugend und spannend bis zur letzten Seite zieht einen der Roman in den Bann – da wundert es nicht, dass der Autor bereits an einer Drehbuchversion arbeitet.

Titelbild

Dirk Brauns: Im Inneren des Landes. Roman.
Galiani Verlag, Köln 2012.
224 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783869710655

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