Die Sprache geht ins Land

Uwe Kolbes „Lietzenlieder“

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1957 geborene Uwe Kolbe ist ein Dichter, der ins Land geht. Welterfahren und lebensklug genug, um Landschaft und Leute in Brandenburg, Berlin und den USA zu erkunden, schreibt er vor allem in und über das Land der Deutschen, in seinem „geliebten Deutsch“, im nachmodernen Hölderlin-Ton, der dank einer guten Dosis ironischen Selbstzweifels frei von Epigonalität ist.

Lietzen ist eine im 13. Jahrhundert vom Templerorden gegründete Siedlung im „leicht gewellten märkischen Gebiet“ („Lietzenlied“). Doch nicht der Ort, sondern die Melodie „hält“ den Dichter, der sein „Echo aus den eignen, frühen Träumen“ sucht. Darin sind die „Orakel, Gerüchte, Geschichte Vermutung, / die Liebesnächte auf raschelnden Palimpsesten / verbotener Literatur“ aus der Biografie der DDR-Jahre eingeschlossen.

In acht Zyklen präsentiert Uwe Kolbe diese fernnahen Melodien. Er besingt sie in Liedern, die kunstvoll aus dem Formenvorrat der Poesie schöpfen. Sonette beherrscht Uwe Kolbe ebenso souverän wie den Odenton („Elemente III“), epische Langverse („Ostdeutsch. Appendix“), reimlose Terzinen („Für immer“) und lyrische Dialoge („Mensch und Krähe“).

Das fließende Wasser und die Straßen sind leitende Metaphern in vielen Gedichten. Der Dichter Uwe Kolbe ist gerne unterwegs mit der Sprache. Dabei nimmt er wie gesagt eine dezidiert modernekritische Position ein. „Kein Glaube an das Gedicht“ und der Glaube an die „Macht des Wortes“ widersprechen sich nicht. „Kein Glaube an das Gedicht“ ist ein Schlüsselgedicht in der Mitte des Bandes. Der Sprecher glaubt an „Geld und Gericht“, „an Engel, an Liebe, / an Schönheit“, „an fallende Grenzen / und Reisen ins Unbekannte“, aber, das wird dreimal wiederholt, nicht ans Gedicht. Das letzte Wort des Gedichts ist aber: „Gedicht“. Es kann als Abgesang, aber eben auch als Apostrophe an das Nichtmehrgeglaubte verstanden werden.

Insofern ist das Gedicht eine Sprechhandlung mit einem höheren Zweck. Dieser Zweck ist zwar angesichts des verlorenen Glaubens an die Wirksamkeit der Anrufung der Götter verschwunden. Nicht aber verschwunden sind, so schreibt Heinz Schlaffer in seiner fulminanten Abhandlung „Geistersprache“ (2012), die Mittel, die dazu dienten, jenen Zweck zu befördern. Auch Uwe Kolbes Lyrik geht über die „anthropologische Grenze“ (Schlaffer) hinaus, indem sie die irdischen und metaphysischen Dinge einander annähert und nicht leugnet, dass Lobpreis, Danksagung, Fest, Zauber, Ruhm, Anrufung aus dem Erbe der hymnischen Dichtung stammen, die einst einen Gott um seine Gunst bat. Nur dass die Adressaten der Anrufung nunmehr aus einer vollends lyrisch unmusikalischen Welt kommen: „Oh Finanz und / Oh Amt / und oh Untergang“, heißt es in Kolbes „Kein Glaube an das Gedicht“.

In dem Gedicht „Rückwärts“ misstraut der Dichter der Entdeckung, auf der sein Gedicht beruht. Er weiß aber, dass die Sprache des Gedichts „Sprache der Toten seit / Orpheus’ Wiederkehr“ ist. Das Gedicht macht Totes lebendig und spricht mit den toten Dichtern („Rilke-Entwurf“ und „Brecht am Schiffbauerdamm“). „Nachleben“, so nennt Schlaffer diese erstaunliche Kontinuität der europäischen Lyrik seit ihren griechischen Anfängen, wenn der Zweck, auch noch in der Abwendung, zum Zitat der Tradition wird. „Das Großhirn der Dichterinnen und Dichter ist kein Solist in diesem Konzert,“ sagte Uwe Kolbe in seiner brillanten Klagenfurter Rede (30. Juni 2012, nachlesbar auf: http://bachmannpreis.eu/de/news/4027). „Rückwärts“ ist insofern ein mehrdeutiger Titel. Die episierenden Langzeilen enden mit der lyrischen Pointe vom Gedicht als Flaschenpost, die vielleicht irgendwo, wie Celan sagt, an „Herzland“ gespült wird: „Ich stand am Briefkastenautomaten und / zögerte, hinter mir einen, der wusste genau, wie viel Porto / es braucht, und in welchem Land wer wartet auf seinen Brief“. Für das Gedicht gibt es keine Portovorschrift. „Für die Nachwelt“ ist es geschrieben, aber dieser Empfänger ist unbekannt.

„Lust“ ist das erste, „Leben“ das letzte Wort in diesen sprachlustvollen Gedichten, in denen das Auge „übergehen“ will („Elemente III“), nie aber die Worte. Uwe Kolbes „Lietzenlieder“ sind virtuose Melodien über Heimatsuche und Erinnerungsorte in Dur und Moll, komponiert aus biografischer und poetischer Erfahrung; Nachrufe an Traditionen und Anrufungen der wunderbaren Mittel der Lyrik, voran deren vorzüglichstes: der Sprache.

Titelbild

Uwe Kolbe: Lietzenlieder. Gedichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012.
112 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783100402226

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch