Alles vorbei

Es hätte ein solch schöner Skandal werden können – aber kaum hochgekocht, ist aus dem vorgeblichen literarischen Mord an Frank Schirrmacher ein ganz normaler deutscher Krimi geworden

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass das deutsche Feuilleton alle paar Wochen einen Skandal mittlerer Größe auskocht, gehört zum Leben wie die Jahreszeiten. Allein in diesem Jahr sind an größeren Events ein Günther Grass- und ein Christian Kracht-Skandal zu vermelden. Ein Steinfeld-Skandal kam dann im August dazu.

Kurz und knapp: Unter dem Pseudonym Per Johansson hat der Feuilletonchef der „Süddeutschen Zeitung“, Thomas Steinfeld, zusammen mit Martin Winkler bei S. Fischer einen Krimi herausgebracht, anfangs ohne Aufdeckung des Andernamens. Auf die Schliche kam Steinfeld der „Welt“-Autor Richard Kämmerlings, der in einem Anfang August publizierten Artikel das Ungeheuerliche aufdeckte: 1. Das Vorbild des Opfers des vermeintlichen Schwedenkrimis ist niemand anders als der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Und 2.: Der wahre Verfasser von „Der Sturm“ kann niemand anders sein als Thomas Steinfeld.

Was angeblich für Schirrmacher spricht, sind – hier unsachgemäß aufgelistet – die Themen, mit denen Meier sich einen bundesdeutschen Namen gemacht hatte, das rüde und wechselhafte Benehmen Mitarbeitern gegenüber, der Umstand, dass Meier in den Puff geht, und die handgefertigten Schuhe, für die man eine spezielle Schuhcreme braucht. Mit anderen Worten: unverkennbar Schirrmacher. Ein weiterer Kritikermord nach Martin Walsers vorgeblicher Attacke gegen Marcel Reich-Ranicki? Whow.

Das Pseudonym gaben Autor und Verlag gleich zu. Autoren seien Thomas Steinfeld und Martin Winkler (und wer ist das nun wieder? S. Fischer gibt nichts zu Winkler bekannt, vielleicht doch noch jemand anders?). Den ersten Punkt aber wollten sie so nicht stehen lassen. Nein, nicht Frank Schirrmacher, sondern mehrere Personen, vielleicht sogar Steinfeld selbst, seien Vorbild dieses deutschen Großjournalisten Christian Meier gewesen.

Nun wird dieser Christian Meier einigermaßen genüsslich malträtiert in (nennen wir ihn so) Johanssons Roman: Der Mann wird mit einer Schaufel erschlagen, die Leiche neben einem Dachsloch abgelegt und von Dachsen angefressen, der nagelneue BMW des Chefredakteurs, der auf der Spur einer sensationellen Geschichte war, wird im Graben versenkt. Es bedarf also eines schwedischen Jahrhundertsturms, um dem Verbrecher auf die Spur zu kommen. Das alles spricht für irgendwas, aber nicht dafür, dass wir es hier mit einem Schlüsselroman zu tun haben, zumal die Szenen um Meier eigentlich nachrangig sind und die Abrechnung mit dem Chefredakteur als Widerling eigentlich kaum eine Rolle spielt.

Und so bricht der Skandal in sich zusammen, bevor er eigentlich begonnen hat. Das Besprechungsexemplar wird dann schon ohne Umschlag verschickt, die vermeintliche Übersetzerin ist durchgestrichen, der hübsche Klappentext geht in den Papierkorb. Was das Buch also an authentischen Verfassern gewinnt, verliert es an Authentizität, auch wenn Steinfeld Schweden gut kennt und Wallanderspezialist sein mag.

Aus dem Schwedenkrimi wird also ein Schwedenkrimifake. Und so schlecht ist es nicht mal: Die Anfangssequenz ist hinreichend brutal, die Melancholie ist groß genug, die handelnden Personen sind ausreichend mit Lokalkolorit versehen, das allerdings von überall herstammen könnte. Der Plot selbst verbindet die Warnung vor den Problemen einer weltweiten Verknüpfung von Datenströmen und der Abhängigkeit von der Funktionsfähigkeit des Systems mit der Warnung vor der Allmacht der Banken. Darunter gelegt ist das Motiv des Feuerwehrmannes, der selbst Feuer legt, um seine Unabkömmlichkeit zu demonstrieren.

Die Sympathie gilt offensichtlich weder den Systemkritikern noch den Repräsentanten des Systems, denen nachgesagt wird, unter der Hand zusammenzuarbeiten zu Lasten der Normalbürger. Der Handlungsträger ist ein kleiner Lokaljournalist mit linksextremer Vergangenheit, die Mörder sind am Ende hilflose Opfer und selbst nur vom System und ihren grausamen Schwergen gejagt und erpresst. Da tun sich weder der Großjournalist noch der Piratenchef noch der Chef einer Internetsicherheitsfirma irgendetwas. Sie alle profitieren vom System und seiner Komplexität, die die Repräsentanten des Politischen älteren Semesters mittlerweile zu Tränen rührt. Ablösung der Primat des Politischen? Ja, könnte man so sagen.

Das Ganze ist leidlich stringent entwickelt und hinreichend straff geschrieben, sagen wir: routiniert. Auch wenn es immer wieder Hinweise darauf gibt, dass wir es mit einem deutschen Krimi zu tun haben (jetzt, wo mans weiß, sowieso): kleinere Umständlichkeiten, die Neigung, fremdsprachliche Zitate einzustreuen, die aber zu übersetzen, die vollständigen Bezeichnungen von Autotypen und dergleichen mehr. Der deutsche Krimischreiber ist erstens – lieber Thomas Wörtche – (fast) immer Dilettant und zweitens darf man auch Journalisten nicht verbieten, Krimis zu schreiben, auch wenns manchmal eine gute Idee gewesen wäre, hätte es ein solches Verbot gegeben. In diesem Fall haben wir es mit Durchschnittskost zu tun, die unterhalten und belehren wird, wen es beliebt.

Titelbild

Per Johansson: Der Sturm. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012.
336 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783100170262

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