Leben, Tod, Liebe und ein Stück vom Paradies

Selim Özdogans Band „Der Klang der Blicke“ erzählt Geschichten – atemlos, wortgewandt und musikalisch

Von Eva UnterhuberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Unterhuber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Was willst du mit der Anerkennung von Menschen, die du ohnehin nicht ernst nehmen kannst? Wenn du ganz alleine bist, wenn niemand von denen auf deiner Seite ist, dann bist du vielleicht auf dem richtigen Weg. Jeder ernsthafte Schriftsteller geht allein, halte nur den Rücken gerade.“

Diesen Ratschlag erhält der Protagonist der einleitenden Geschichte in Selim Özdogans Band „Der Klang der Blicke“ von seinem Vater. Der junge Mann hat seine Rapper-Karriere zugunsten eines Schriftstellerdaseins aufgegeben und fühlt sich nun beständig zerrieben zwischen dem Wunsch nach Popularität und Anerkennung und dem Widerwillen gegen Vereinnahmungsbestrebungen im Namen von Anti-Rassismus, Integration und Deutsch-Türkentum. Tatsächlich ist man auch bei Özdogan gut beraten, nicht in ebendiese Schubladisierungsfalle zu stolpern und ihm aufgrund von Name und Herkunft Bekenntnisse zur Lage der Türken in Deutschland abzuverlangen. Der Autor, kein Neuling auf der Literaturbühne, lässt sich nach dieser prämissenhaften ersten Erzählung freilich gar nicht auf dieses Spiel ein. Vielmehr stürzt er sich und seine Leser kopfüber in seinen schriftstellerischen Mikrokosmos und breitet einen Klangteppich an Erzählungen aus.

Über dreißig Geschichten erzählt Özdogan in „Der Klang der Blicke“, fast ausschließlich aus männlicher Perspektive, und stets mit dem Blick für das Wesentliche. Die Emotionen sind immer stark, mag es sich um Liebe oder Hass, um Eifersucht, Verzweiflung, Abscheu, Verlangen oder Desillusionierung handeln. Humor scheint nur selten durch, am deutlichsten noch in „Todesengel“, einem wahren Kabinettstück von Erzählung, mit einer überraschenden aber überzeugenden Pointe. Andere wieder sind fast zu schmerzhaft radikal, um ertragen zu werden, namentlich „Freuden der Jugend“, in deren Zentrum ein jugendlicher Außenseiter steht, oder das alptraumhafte „Tim ist nicht tot“. Diese Erzählungen vermögen in ihrer brutalen Konsequenz zu überzeugen und nachhaltig zu erschüttern.

Tatsächlich besitzt die Mehrzahl von Özdogans Geschichten etwas Novellistisches, in jener ‚unerhörten Begebenheit’, die sie der Theorie gemäß schildern sollten. Das bedeutet nicht, dass in „Klang der Blicke“ spektakuläre Begebenheiten und Situationen dominieren. Vielmehr lässt Özdogan seine Leser an ‚Unerhörtem‘ im Sinne von ‚Noch-nicht-Gehörtem‘ oder ‚Nicht-In-Dieser-Form-Gehörtem‘ teilhaben. Das Thema vieler seiner Geschichten mag bekannt sein, nicht wirklich außergewöhnlich. Für die es umgebende Form, die umhüllende Sprachgestalt gilt dies indes nicht. Özdogans Sprache macht virtuos Altbekanntes neu, durch den treibenden, druckvollen Charakter, den ihr der Autor gekonnt verleiht. Egal, ob es sich um den Lebensfilm eines Selbstmörders handelt, das Bekenntnis eines Mannes, statt der Liebe auf den ersten Blick die Frau seines Lebens geheiratet zu haben, oder um disharmonische Eheverhältnisse. Özdogan schafft von einer Geschichte zur nächsten das Kunststück, völlig disparaten Charakteren und Situationen plausibel Worte zu verleihen, der fanatischen Innenwelt eines Rassisten ebenso wie der Selbstherrlichkeit eines verblendeten Stalkers, den Rechtfertigungen eines Mannes, der der Alkoholsucht seines Freundes nichts entgegensetzt, wie der Melancholie eines Einsamen, der eine mögliche Lebenspartnerin aus Starrköpfigkeit zurückgewiesen hat.

Özdogans Figuren klingen authentisch, und sie alle enthüllen, trotz ihrer Heterogenität, dass sie im Innersten nur Eins bewegt: sie wollen das Mehr, das Andere, das Bessere, das ihnen das Leben zu versprechen oder auch nur vorzugaukeln scheint. Sie sind jene, die immer nach dem größeren Stück vom Kuchen greifen, jene, die unentwegt den Paradiesgarten suchen oder der Hoffnung nachlaufen, um einen Blick auf ihn erhaschen zu können. Doch die Heilsversprechen sind meist falsch und der gute Ausgang ist rar. Das ist kein Schwachpunkt in Özdogans Erzählungen, sondern ein realistischer Blick auf das Leben, das eben nicht immer ein Wunschkonzert ist. Was den Leser am Ende mit dem vorwiegend disharmonischen „Klang der Blicke“ dann doch versöhnlich stimmt? Der unerhörte Klang der Geschichten natürlich.

Titelbild

Selim Özdogan: Der Klang der Blicke. Geschichten.
Haymon Verlag, Innsbruck 2012.
261 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783709970003

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